Dienstag, 31. März 2015
Fliegen danach


Ich kann von mir behaupten, dass ich hin und wieder mal fliege und zwar wahrscheinlich in einem Monat mehr, als so mancher Mitbürger in seinem ganzen Leben. Das liegt in der Natur des Jobs und ich bin weit davon entfernt, mir darauf etwas einzubilden. Das ist für mich wie Busfahren und wenn es geht, versuche ich Fliegen generell zu vermeiden, weil es einfach viel zu anstrengend und im Verhältnis zu aufwendig für mich ist.

Auch Schwanzlängenvergleich in Form von Statusmeilenposing liegt mir nicht. Die Vorteile allerdings, die man durchs Vielfliegen erhält, weiß ich zu schätzen. Fastlanenutzung, Priorityboarding und Loungezugang mit freiem W-Lan und Kaffee bis zum Herzinfarkt, können meinen Alltag positiv beeinflussen.

Von Montag bis Mittwoch letzter Woche war ich in Lissabon
. Eigentlich berichte ich ja nicht mehr über diese Trips, weil es keinen interessiert, weil es nichts Inhaltliches zu bloggen gibt, weil es immer dasselbe ist und dann kann man ja auch einfach mal die Fresse halten. Ein Wunsch, den ich gern an den einen oder anderen Mitmenschen richten würde.

Diesmal allerdings wollte ich Ihnen sogar was berichten und zwar von dieser Dekadenz, in der ich mich da bewegte und von dem Gefühl, wie es ist, wenn man in eine abgesperrte Enklave für Gutsituierte einfährt, wo man der Security seinen Namen nennen muss und dann wird abgeglichen, ob man denn wirklich reserviert hat und erst dann darf man aufs Hotelgelände. Mach ich aber nicht. Es gibt Wichtigeres:

Da hatten wir also am letzten Dienstag gerade Pause, als Cheffchen aufgeregt zu mit kam und mit sein Schlautelefon unter die Nase hielt und meinte:

"Da ist eine Germanwings-Maschine abgestürtzt. Barcelona-Düsseldorf. Es sind wohl alle tot."

"Was?! Wieso?"

"Weiß man noch nicht."

Wir waren 60 Leute, alle mit dem Flugzeug angereist und ich kann Ihnen versichern, dass diese Nachricht sich sehr schnell verbreitete.

Abends, es galt Zeit zu überbrücken, schaute ich nach dem Duschen natürlich fern und lauschte denen, die immer was zu meinen haben, selten aber was zu sagen und war doch sehr erstaunt über unsere Qualitätsmedien. Scheinbar in Ermangelung von Fakten, qäulte man sich durch diverse Sondersendungen, die ausser Spekulation nicht viel Inhaltliches hergaben.

Die Krönung war dann anderen Morgens die Berichterstattung im MoMa von ARD und ZDF, wo Schwiegermuttis Bester doch tatsächlich sagte: "Herr SOWIESO, wir wollen natürlich nicht spekulieren, aber können Sie uns trotzdem eine Einschätzung der Vorkommnisse geben?" Hm. Einfach mal die Fresse halten.

Dieser ganze Medienrummel führte bei mir eigentlich nur dazu, dass ein für sich genommenes Ereignis, welches mich anfänglich berührte, da ich viel fliege und oft auch mit der GermanWings, einfach nur noch zuviel war. Information overkill. Einfach mal die Fresse halten.

In der ersten Pause der Mittwochs-Zusammenkunft sagte ich zu Cheffchen:

"Das bereitet einem ja schon Unbehagen, heute abend dann in das Flugzeug zu steigen."

"Yep. Das darfst Du aber überhaupt nicht an dich ranlassen. Unsere Zeit ist um, wenn sie um ist."

"Stimmt. Heute werden wir also nicht sterben!"

Und doch, als der Bus die erste Gruppe von uns Richtung Flughafen abholte, war eine deutliche Anspannung zu spüren, die mit Nichtigkeitsdiskussionen übertüncht wurde.

Wir lümmelten dann in der Lounge rum und da ich den spätesten Flug von allen hatte, wurde ich wirklich von jedem verabschiedet und ich bilde mir ein, dass es diesmal anders war. Ich mein, wenn selbst der BigBoss mich umarmt? Ich meine Umarmen?!

Als Boarding angezeigt war, ging ich Richtung Gate und telefonierte dabei mit meiner lieben Frau. Das hat Tradition: Statusmeldung geben und kurze Ansage machen, ob die zeitliche Planung stehen bleibt. Ich hörte mich sagen:

"So Gott will, werde ich 22.40Uhr landen."

Hatte ich das gesagt? Wirklich? Ich werde alt. Egal. Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr gelassen meine Frau all dies mitmacht, und wie wenig aufgeregt sie in solchen Situationen reagiert. Wenn ich die nicht schon geheiratet hätte.

Der Tradition folgend, machte ich natürlich auch Bilder einiger Flugzeuge für Cabkid und wirkliches jedesmal, wenn ich irgendwo hinfliege, mach ich ein Bild von dem einen, meinem Flugzeug und sende es meiner Frau. Kein Wunder, dass das Kind glaubt, ich wäre der Pilot.





Wir stiegen alle in den Bus am Gate und auch hier, entgegen des sonstigen Gequassels der aufgeregten Touristen und Pseudowichtigtuer, die immer noch auf dem letzten Drücker total wichtige BusinessTalks haben müssen, war es sehr sehr verhalten. Eigentlich angenehm. Also öfters mal die Fresse halten.

Ich hatte Platz 1A und stieg demzufolge als Letzter ein. Bis dahin betrachtete ich die Gesichter der anderen Passagiere. Keiner lachte. Keine Jokes. Kein Genörgel über den Vordermann. Eigentlich angenehm, denn das Einsteigen ging wirklich zügig.

Kurz darauf rollten wir auch schon zur Startbahn und während ich mich auf meinem Platz organisierte und mich umdrehte, um zu schauen, ob ich später den Sitz nach hinten klappen konnte, sah ich im Gesicht der Frau hinter mir absolute Angst.

Sie hatte ein Baby dabei, ihr Mann saß auf der anderen Seite des Ganges und kümmerte sich um ein vielleicht 4jähriges Mädchen, war also abgelenkt. Ich konnte ihr so gut nachfühlen, was sie da gerade durchmachte und sprach:

"Keine Angst, sie fliegen mit mir und ich werde 90 Jahre alt."

Sie unternahm den Versuch eines Lächelns, der gründlich missglückte.

Später, nach erreichen der Reisehöhe, gab es tatsächlich mal leckeres Essen, was die Frau scheinbar ablenkte, ich spielte Solitair bis zur Akkuerschöpfung und der Mann auf 1D kippte sich ca. ne halbe Flasche Rotwein. Auch ne Art.

War also alles recht entspannt, bis der Purser in die Kabine fragte, ob denn ein Arzt an Board wäre. Da war kurz Stimmung. Ein Vorteil für uns in der Bizz war, dass wir mitbekamen, dass es um einen Fluggast ging, der sich nicht wohl fühlte. Das habe ich dem verhutzelten 108 Jahre alten Mann, der vorgehumpelt kam und sich als Ex-Allgemeinmediziner vorstellte, auch so übersetzt.

Keine Ahnung, wie das ausging, nur eines: Als wir nach Landung darauf warteten, dass Flugzeug verlassen zu können, sagte die Frau hinter mir: "Danke, das war sehr nett."

"Kein Problem. Ich muss mir das auch hin und wieder vorsagen."

Tür auf. Raus. Taxi rein. Daheim ein Glas Rotwein. Maibrit Illner geschaut. Vollpfosten vom Morgen gesehen und gedacht: Einfach mal die Fresse halten. Mann.




PS Ich finde sowohl Lufthansa als Germanwings haben sich sehr gut verhalten und ich würde jederzeit dort wieder einsteigen, denn ich werde 90. Nur diese Woche nicht mehr. Ich habe beide Trips abgesagt, wegen anderer Prioritäten, was zu erstaunlichen Mutmassungen führte. Sag ich doch: Einfach mal die Fresse halten, so wie ich jetzt wieder.


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Mittwoch, 11. März 2015
Herr Lenz



Der Frühling ist noch nicht ganz gar, aber es duftet bereits köstlich sonnendurchtränkte Luft dieser Tage und kündet von Schmackhaftem. Eine Ahnung prunkvollem Floralem knospt keck allerorten verheißungsvoll in zartem Grün.





Noch ist sie noch nicht ganz wach, des Gartens Mutter Erde. Augenblicklich liegt sie da, halb dösend und bedeckt von Fetzen des winterlichen Überwurfs. Still und verdorrt stehen Zeugen der Zeit einer vergangenen Blüte und gemahnen an Werden und Vergehen allen Irdischen.





Nichts kann freudvollen Übermut des Jungvolks bremsen, nun, wo es der Enge der Räumlichkeit wohnhafter Bebauung entsprungen ist, Freiheit geniessend.





Eine Biene, entfallen der Zeit und getäuscht von sonnengewobener Vermutung eines Sommers, umsummt träge die bunteste aller Gestaltung ringsum der Terrasse – meine Kaffeetasse.





Kleidung folgt der Dunkelheit der Nächte und wird kürzer. Sie akzentuiert wo sie nicht ist und lässt einen Blick auf winterlich Kalkweißes zu. Wie sehr ich das mag.

Heureka und alle da. Gewiss, ich bin bereit fürs Frühlinghafte, sogar Lachen, bestimmt aber Genießen und nie kommt mir der Zauber zum Erliegen, dem all dies Erwachen innewohnt; außer vielleicht im Herbst, denn er ist der König der Jahreszeiten, doch zu früh ist es im Jahr, all seinem Prunk nun zu gedenken. Aber bald.


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Freitag, 6. März 2015
HALLO mit Gebrüll!
Erstaunlicher Weise ist es so, dass ich seit des Postes des hübschen Piktogramms zum Thema Intimfrisuren die meisten Hits auf eben jenes bekomme. Damit hat es dieser Beitrag aus Januar, dem 27ten, 2014 doch tatsächlich auch in die most read – Liste geschafft und tummelt sich nun dort quietsch vergnügt mittemang Einträgen, welche allesamt entstanden in den goldenen Jahren dieses Blogs, also so 2006, 2007, 2008.

Hiermit habe ich hinlänglich hingeleitet zu heutiger Heiterkeit, die hockend ich huldvoll hudele. Denn es kann doch nicht sein, nicht wahr, dass ein einzeiliger Eintrag mit einem bunten Bildchen, mehr Response erfährt als so manch bravouröses Stück, welches fast sogar schon Literatur ist und ich bezieh mich nicht nur auf den Cove.

Andererseits, wenn ich mir vor Augen halte, was sonst so zu Tode kommentiert wird und worauf bloggende Welt im Allgemeinen reagiert, dann ist das Alles eigentlich doch nicht verwunderlich.

Egal, Leben heißt auch Lernen, weswegen ich heute wieder ein erstaunliches Stück Wissen teilen möchte, dessen Kenntnis ich selber gerade erst erlangte und das kam so:

Neulich, als ich auf das Flugzeug wartete, las ich einen Bericht über Ermittler in der Nazi-Szene, in welchem ein Buch erwähnt wurde, welches sich in einem Regal eines Verdächtigen stand. Das Buch wurde von Hermann Löns geschrieben, trägt den Titel „Der Wehrwolf“ und soll, so der Ermittler, in Nazikreisen von besonderer Bedeutung sein, weil es während der NS-Zeit ein Bestseller war, der damals u.a. auch Pflichtlektüre darstellte.

Dieses Buch wurde dem Verdächtigen dann auch zum Verhängnis und ich wollte unbedingt wissen, worum es darin geht.

Sollten einfache Menschen nun wieder einfache Schlüsse ziehen: Es sei Ihnen versichert, die Welt ist komlex, ich bin es auch und: Nun mal halblang, ich habe nämlich auch Werk Eins und Werk Zwei von Challe gelesen und den unsäglichen ”Fifty Shades of Grey”-Mist habe ich zumindest begonnen zu lesen und zwar noch bevor der richtige Hype darum entflammte. Leider ist das Buch so grottenschlecht, besonders auch geschrieben, dass ich es nach den ersten 100 Seiten weglegen musste. Keine Ahnung, wie dieses Ding so groß werden konnte. Egal.

Den „Wehrwolf“ hatte ich an zwei Abenden durch und es war auch schnell ersichtlich, warum dieses Buch seinerzeit auf dem Index stand, aber ehrlicherweise muss man schreiben: In den Informationenströmen unserer heutigen Zeit sind die vermittelten Botschaften des Buches Kinkerlitzchen. Pathetischer Pseudoabentuerroman, den man gut zusammen mit „Die Abenteuer des Werner Holt“ im Haus haben kann, falls man mal kleinere Höhenunterschiede ausgleichen muss, oder der Terrassentisch sich am Wackeln ist.

Das einzig Gute an der Lektüre war und ist die alte Sprache. Und damit kommen wir dann auch zum Lehrreichen heute, das mich doch sehr erstaunte und euch, die Ihr alle was mit Medien macht und Germanistik studiert habt bestimmt schon längst bekannt ist:

“Er ging zurück und machte Viekenludolf Platz, und der schrie: „Ich verklage sie im Namen von ehrbaren Jungfrauen, Witfrauen, Schwangeren und Wöchnerinnen, unschuldigen Mädchen und unmündigen Kindern, Kranken und Schwachen, an denen sie sich vergriffen haben. Ich schreie HALLO über sie und abermals HALLO und zum dritten Male HALLO und HALLO und HALLO und HALLO, und will es mit sieben Eiden beschwören, dass sie siebenmal und siebzig den Tod verdient haben nach dem, was sie mir gestern mit ihren eigenen Mäulern im Kruge zu Burgdof in ihrer dummen Besoffenheit verzählt haben.“1

In der Worterklärung hinten im Buch steht: Hallo: ein Racheruf

Hübsch, oder? Ich fand das spannend und denke, wir sollten zukünftig auf Ahoi als Grußwort umstellen, nicht das noch einer umkommt, gerade so wie die beiden Schandkerle im Roman, denen dieses HALLo galt.

Gott zum Gruß und Schiff Ahoi!



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(1) Löns, Herman, Der Wehrwolf, Jena 1927


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