Montag, 24. April 2006
Der Fall Jesus
Hansen, Siggi und ich saßen in der Kneipe ohne Namen. Diesmal gab es aber etwas zu feiern: Siggi hatte den Führerschein bestanden.
Da saßen wir nun in unsere Stammecke, schwiegen uns ausgelassen an und schauten der fetten Elke zu, wie sie unser Bier zapfte. Eigentlich war der Führerschein nur eine Entschuldigung wieder hier zu sein und eigentlich hieß Elke Cecilia.
„Freunde dürfen aber Sissi zu mir sagen.“, was wir aus ersichtlichem Grund nicht taten und sie kurzer Hand Elke tauften. Elke, formerly known as Sissi, kannte Die Ärzte nicht und damit war das kein Problem.
„Ich finde das völlig daneben, dass ihr hier keine Löffel in den Nussschalen habt. Da grabscht jeder rein, das ist so eklig.“ motzte ich Elke an, weil ich es wirklich eklig fand.
„Die sind ja nur für euch“, wehrte sie sich, „die anderen Gäste bekommen keine!“
Und tatsächlich, als ich mich umschaute, hatten nur wir Nüsschen auf dem Tisch stehen.
„Sind wir jetzt Stammgäste?“ krähte Siggi.
„Ihr seid die einzigen Gäste.“ und dabei stellte sie die Biere vor unsere Nasen und schmunzelte, dass einem warm ums Herz werden konnte. Wurde es aber nicht, weil Möhn zur Tür reingestürmt kam und rumbrüllte, dass der Jesus sich umbringen will und wir nun gefälligst mitzukommen hätten.
Möhn war so einer, den man ab und an sah, wenig mit ihm redete und schon mal überhaupt nicht kannte.
Der Jesus hingegen hiess Jan und war einer unserer besten Kumpels, so zwei Meter groß, hatte lange blonde Haare, war schweigsam wie ein Grab und unsterblich in Gülnaz verliebt. Diese wurde mit 18 von einem grauen Wolf geschwängert, was Jesus total aus der Bahn und uns rein in diese Geschichte warf.
Jesus Leben bestand daraus, mit den Türken abzuhängen, Bobpartys zu feiern, zu skaten, zu kiffen und - - : Tja, nichts weiter. Das war es.
„Also Möhn, setz Dich erstmal und trink ein Bier.“ beschwichtigte Siggi den Neuankömmling.
„Nein!“ schrie der, „Jesus will von der Brücke springen! Nun kommt schon.“ dabei wandte sich Möhn wieder zur Tür und eilte hinaus.
„Was für eine Brücke?“ wunderte Hansen sich, genauso wie ich.
„Sag mal Elke, kannst Du das Bier kaltstellen?“ fragte Siggie, als er sich anschickte, Möhn zu folgen.
„Klar Jungs, mach ich doch.“ kam es prompt von Elke zurück.
Beim Rausgehen fragte ich Siggi, was das denn sollte, das Bier kaltstellen?? So ein Quatsch! Das war doch eh schal, wenn wir zurückkommen würden, wobei die Betonung auf wenn lag.
„So was Cooles wollte ich aber schon immer mal sagen. Kam gut, oder?“
„War super und nun lasst uns mal los!“ sagte Hansen und dann folgten wir alle Möhn.

Draußen regnete es. Schon wieder oder immer noch, wer wusste das schon, denn in meinem Leben regnet es ja immer irgendwie und die Brücke war eine Mauer, nämlich das Stück, das die Zeit von der historischen Stadtmauer übrig gelassen hat. Auf ihr saß Mahzun, und neben ihm, stehend, mit freiem Oberkörper und völlig entrückt - Jesus.
Mahzun war ein Kumpel von Jesus und eine Art Antitürke, denn er machte all das, was er nicht durfte, genau wie Jesus, nur mit anderem religiös- kulturellen Hintergrund und das machte die Sachen noch viel schlimmer.
„Mann, die sind ja total stoned!“ stöhnte Siggi. ”Wie sollen wir die von da oben runterholen?“
„Misch hold keine von eusch eine runder!“ radebrach Mahzun und verfiel in einen kiffertypischen Kicheranfall. Beide hatten sich richtig die Birne zugeknallt.
„Jesus?“ - Hansen versuchte Kontakt aufzunehmen.
„ Eh, Jesus?!“ - Keine Reaktion.
Jesus stand einfach nur da oben, starrte irgendetwas in der Ferne an und reagierte überhaupt nicht. Seine Haare klebten ihm im Gesicht, sein Hemd hatte er sich um die Hüfte geknotet und im Schein der Straßenlaterne sah er aus wie - - Jesus.
„Man sind die breit.“ stöhnte Siggi ein zweites Mal, als plötzlich und wie auf ein Zeichen, Jesus zu tanzen begann. Musik gab es keine, aber leise, ganz leise sang er:

„Don’t worry about a thing
Cause every little thing gonna be alright
Singin, Don’t worry about a thing
Cause every little thing gonna be alright…”

Das war Bob Marley! Das wusste ich genau, denn ich hatte mit Jesus schon auf vielen, von ihm gestartete, Bobpartys gefeiert.
„Jesus, hast Du Bock auf ne Bobfeier?“ rief ich mit aufkeimender Hoffnung in der Stimme. Vielleicht war das der Weg, ihn von da oben runter zu holen. Doch zu unser aller Überraschung und mit einemmal, drehte sich Jesus zornigen Blickes zu mir, zeigte mit den Fingern auf mich und schrie: „In your face, In your face“, immer und immer wieder und Kicher- Mahzun stimmte ein.
„Oh Man, das wird ja immer bekloppter.“ nörgelte Siggi „Gleich kommen die Bullen und dann ist die Kacke am Dampfen, erklären können wir das auch nicht und…“
Weiter kam er nicht, weil Jesus nämlich von der Mauer fiel, leider auf deren andere Seite.
„Na toll, wie sollen wir den jetzt finden?“ fragte Möhn.
„In dem wir ihn suchen.“ ätzte wir ihn im Chor an.

Schließlich fanden wir ihn. Er hatte sich an diesem Tag beide Arme gebrochen und ein Herz dazu, denn wie er später im Krankhaus erzählte, musste Gülnaz zurück in die Türkei. Deswegen hatte er sich so weggeballert und das war, wie wir einstimmig befanden, ein guter Grund sich mal auszuklinken.
Gülnaz hat er nie mehr wieder gesehen, Mahzun schon und Dank seiner besten Freunde, konnte er auch mit zwei gegipsten Armen kiffen und dann feierten wir die größte Bobparty, die die Welt je gesehen hat.

Am 24. April 2004 ist Jan gestorben. Das ist für Dich Alter, in memories…


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schnieff........

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Kein Grund zum Schniefen Söckchen,
man muss die Dinge nur nehmen wie sie sind.

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ja...schon...
aber man kann dabei auch mal kurz durchschnieffen... :o)

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Stimmt eigentlich.

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