Ich traf Herrn L. in Barcelona. Das war gar nicht der Plan, da ich mit Herrn S. aus ganz anderen Gründen vor Ort war. Umso mehr freute ich mich, Herrn L. zufällig mal wieder zu sehen.
Wir kennen uns schon lange. Wir arbeitenden seinerzeit gemeinsam für das Imperium. Er in leitender Funktion in Spanien und Portugal, ich für Deutschland und Österreich. Viele Tagungen und Treffen endeten mit Herrn L. in irgendwelchen Sportbars, weil gerade Barcelona spielte.
Er rühmt sich, noch nie ein Spiel dieser Mannschaft verpasst zu haben und seit über 30 Jahren Dauerkartenbesitzer zu sein. Ob all das stimmt, weiß ich nicht.
Als das Imperium damals einen neuen Imperator bekam ändert sich alles. Die gewohnten Werte wurden drangegeben und plötzlich hatte ich Boston Consulting im Haus. Es machte keinen Spaß mehr.
Ich sprach meinen damaligen Chef in der Zentrale darauf an. Er schien mir auch nicht glücklich, vertrat aber eine Meinung, die nicht seine war.
Es kam zu der denkwürdigen Zusammenkunft in Hamburg. Mein Ex-Chef mietete ein Konferenzraum in exponierter Lage für ca. 30 Leute. Wir trafen uns zu zweit.
Er redete viel. Worüber? Ich habe die Inhalte komplett vergessen.
Am Ende der gegenseitigen Standpunktbeschreibung zog er einen Umschlag aus der Tasche und sagte: „Ich bin vom Board beauftragt, dir diese Summe anzubieten. Du darfst dafür aber für einen Zeitraum von 2 Jahren ab Erhalt nicht kündigen.“
Ich nahm den ungeöffneten Umschlag, steckte ihn ein und sagte: „Ich werde es mir anschauen und mich bei dir melden.“
„Ja, bitte tu das. Ich brauch allerdings bis morgen, bevor ich zurückfliege, von dir eine Entscheidung.“
Sie boten verdammt viel Geld. Nur fürs dableiben. Obszön.
Ich beredete es mit Cabwoman.
Nochmal.
Und nochmal.
Am nächsten Morgen standen wir beide im Bad und ich sagte zu ihr: „Ich weiß, dass ist sehr viel Geld. Wir könnten es gut gebrauchen: die Kinder, …alles richtig. Aber ernsthaft? Ich kann nicht. Ich hätte immer das Gefühl mich prostituiert zu haben. Ich würde zwei Jahre den Tanzbären in der Manege machen. Kurz: Ich werde ablehnen.“
Das schreibt sich schneller runter, als es damals über die Lippen zu bringen. Es war ein Kampf. Ich fühle mich für meine Familie verantwortlich und weiß um die Pein finanzieller Sorgen.
Umso mehr freute mich Cabwomans Reaktion. Sie gab mir einen Kuss und sprach: „Du wärest nicht der Mann, den ich geheiratet habe, wenn du anders entscheiden würdest.“
Ich habe noch am selben Tag gekündigt. Mulmig war mir, sicher, aber es war eine nie bereute Entscheidung.
Herrn L. in Spanien ging es damals ähnlich. Auch er war einer der Wenigen, die Rückgrat zeigten und sich nicht kaufen ließ. Und an all das musste ich denken, als ich diesen alten Kerl in knitterigem Anzug vor mir sah.
Er erzählte mir von den wirren Entwicklungen seines beruflichen Lebens seit seinem Ausstieg und erklärte voll Stolz, dass er nun Teilhaber einer Firma in Tanger, Marokko, wäre. Die Geschäfte liefen endlich gut.
Schnell kam sein Vorschlag, dass wir etwas gemeinsam aufbauen sollten.
Wir haben dafür Regeln.
Also fuhr ich hin.
Nicht allein.
Ich nahm eine junge Frau mit, die sich kurz vorher bei uns beworben hatte, auf eine Stelle, die ich mit einer anderen Person besetzte. Dennoch fand ich ihre Art und Weise überzeugend und habe etwas in ihr gesehen, was sich zwischenzeitlich auch bestätigte. Also bot ich ihr eine Stelle in einem gänzlich anderen Bereich an und sie sagte zu.
Es war ihre erste Dienstreise. Sie machte sich Sorgen wegen ihrer fehlenden Erfahrung, der richtigen Kleidung, dem richtigen Verhalten, eigentlich wegen allem.
„Du fährts mit, damit du die Erfahrung machst. Fehler dürfen gemacht werden, das nennt man Lernen. Du lernst gerade. Ende.“
Es war ein toller Besuch. Erstaunlich, wie sehr zumindest in diesem urbanen Umfeld dieses sogenannte Entwicklungsland unserem Standard gleicht.
Auch geschäftlich ließ sich alles sehr gut an. Die Ziele waren schnell beschrieben, die Verantwortlichkeiten und Aufgaben verteilt.
Keine 2 Monate später erreichte mich die Nachricht von Herrn L., dass er seinen Anteil an der Firma verkauft hätte und nun was ganz anderes machen wolle. Ich könnte ihn aber immer gern in Barcelona besuchen. Dazu gab es eine neue Office-Adresse und einen Kontakt zu einer Person, die von nun an übernehmen würde.
Alle Versuche einer Kontaktaufnahme mit dieser Person blieben bisher erfolglos. Die mit Herrn L. auch.
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Wir waren dann in Atlanta. Ich saß mit O. vor einem Starbucks und er haderte noch immer mit sich, weil ich unsere Getränke bezahlte, da er sein Portemonnaie im Hotel vergaß.
„Ist nicht schlimm, den nächsten bezahlst dann du“, hörte ich mich sagen und er entgegnete mit der polterigen Art, die ihm so eigen war: „Du bist hier mein Gast! Verstanden?“
Klar.
Später im Jahre 2022 werde ich ihn nach Hamburg einladen, in dem teuerste Hotel der Stadt einquartieren und er wird dann mein Gast sein und die Gräben, die sich in Atlanta auftaten, werden überwunden sein. Das wussten wir da noch nicht.
Ein wandelnder Lumpenhaufen kam auf uns zu und fragte:
„Habt Ihr einen Dollar für mich?“
O: „Warum soll ich dir einen Dollar geben?“
LH: „Weil du einen hast, ich nicht.“
O: „Such dir einen Job, dann hast du auch einen Dollar.“
LH: „Ich könnte dich auch erschießen und dir alle deine Dollar wegnehmen.“
O: „Versuchs.“
Bei diesem Teil der Konversation wurde mit etwas mulmig. O. gehört nicht zu den Menschen, die leere Versprechungen oder Drohungen aussprechen. Die Person hat das wohl auch gespürt und trollte sich.
Zwei Tage später werde ich in den News hören, dass keine zwei Blocks von unserem Hotel entfernt ein junger Mann als Kollateralschaden bei einem Raubüberfall auf einen Kiosk ums Leben kam. Er stand vor einem Restaurant, rauchte und wurde von einem Querschläger tödlich getroffen.
„Könnte uns auch passieren“, sagte der Kollege zu mir.
„Ja, sicher, der Mensch könnte bei allen möglichen unpassenden Gelegenheiten sterben. Das ist das Verrückte am Leben.“
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Kurz vor Ende des letzten Jahres hatte ich ein bisschen Herzklopfen, weil die Herren The Cure verlautbarten, dass sie eine Tour planen und tatsächlich auch ein Konzert in Hamburg geben würden. War ich ergo noch mehr aufgeregt als sowieso schon, weil doch auch ein gefühlt tausendmal verschobenes neues Album rauskommen soll. Also diesen Herbst. Also quais jetzt, ab September, also seit 11 Tagen? Es ist immer noch nicht da!! Verdammt.
War ich also aufgeregt wie der Hund sonst nur bei Frolic und meine Fingerchen flogen fröhlich flink über die Tastatur, um Fragendes zu den Konzertkarten in des Browsers Fragefenster zu tippen, dabei immer fröhlich auf Cabwoman einplappernd, als diese entnervt vom Frühstückstisch aufstand, irgendwo hinging, wieder kam und mir dann völlig genervt einen Umschlag auf den Tisch legte und achselzuckend meinte: "Sollte ein Weihnachtsgeschenk werden. Ich hätte mir aber denken können, dass du das mitbekommst. Freu Dich. Am besten bis Weihnachten."
Habe ich gemacht und darüber hinaus, immer noch und morgen wieder.
Irgendwann dieses Jahres hatte Hr. Smith dann auch ein paar Infos zu dem neuen Album rausgerückt. Es soll das düsterste Album werden. Freut mich. Passt in die Zeit und außerdem habe ich neue Kopfhörer, denn die Musikgeschmäcker im Haus Cabman|woman|kids sind sehr unterschiedlich. So gelingt der Küchendienst dann für alle schmerzbefreit.
Was zuerst überhaupt nicht schmerzbefreit gelang, war das Thema weiterführende Schule für Cabkid I.
Von allen drei Wünschen, die wir für die weiterführende Schule aufgeben konnten, hat genau keiner funktioniert. Es folgten Tränen des Kindes und ein Telefonat mit unserem Firmenanwalt, mit dem ich beruflich schon einige Fälle durch habe.
In diesem privaten Anliegen konnte er mir nur eine Empfehlung geben. Diese hat dann aber dafür gesorgt, dass CabKid I 2 Wochen vor Schulbeginn doch in der Schule seiner ersten Wahl aufgenommen. Wieder Tränen, diesmal anders motiviert und dass das überhaupt so ist, macht mich froh und sprachlos.
Ebenso sprachlos bin ich über den Sachverhalt, dass Cabkid I so gern in die neue Schule geht. Das ist fast schon unheimlich. Er freut sich, trägt sein Schul-T-Shirt am liebsten jeden Tag, fährt selber mit Rad, ohne zu nölen und zeigt sich sehr engagiert. Irre.
Seit letzter Woche steht nun ein Bass und ein Verstärker in seinem Zimmer. Die Schule hat einen künstlerischen Schwerpunkt und unsere Nachbarn haben nun die Möglichkeit an der Entwicklung des künstlerischen Ausdrucks in der Strasse teilzunehmen.
Bis eben, auf der Akustik-Gitarre, war die Lautstärke ja noch ok. Aber der Junge will in die Schulband. Dieser Ehrgeiz macht mich auch sprachlos. Die Lautstärke des Verstärkers allerdings auch. Nun also Bass.
Neulich, beim Küchendienst, fragte Cabkid I mich, was ich da höre und die Antwort entwickelte sich in ein stundenlanges versacken auf Youtube und dort schauten wir, ja, na klar, The Cure- Videos. Immer mit dem Schwerpunkt: Bass-Linie.
Das Kind fragte mich, welches mein Lieblingslied bezüglich des Basses ist und ich sagte:
"Da gibt es einige:
Fascination Street?
Sinking?"
"Oh Papa, nur ein Lied, das ich dann lerne und dir vorspiele."
"Nur eins? Dann nimm M."
"M? Was soll das sein?"
"Ein Lied, ein sehr schönes, von dem ich mir wünsche, dass sie es auf dem Konzert spielen und vielleicht dann du auch eines Tages. Warte, ich zeigs dir..."
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