Donnerstag, 22. Januar 2015
Never forget where you coming from
Vorgeplänkel

Im Sommer letzten Jahres besuchte uns meine einzige von mir akzeptierte und damit auf ewig auch meine liebste Verwandte, nämlich Tante Ilse.

Wir saßen gemeinschaftlich auf der Manifestation meines ungebrochenen holzbaulichen Gartengestaltungswillen, der 30m² Bankirai-Terasse, natürlich nur zu geniessen wegen eigenhändiger Umsetzung. Herr Kid, Ausführungen hierzu kommen. Wieso wussten Sie das? ;-)

Ich las zu der Zeit ein Buch mit dem schönen Titel "Söhne und Väter - ein Beziehung im lebenslangen Wandel", was ich auch darf, da ich ja tatsächlich 2 Söhne habe.

Tantchen verwies auf dieses Buch und sagte: "Das musst du nicht lesen. Liebe und Härte. Mehr braucht es nicht, um Kinder zu erziehen."

Ich konnte diese Aussage damals nicht einordnen, mittlerweile schon und ich stelle auch fest: Die wenigsten all der Bücher, die wir jetzt so haben, sind wirklich hilfreiche Ratgeber. Liebe und Härte und ich möchte ergänzen: Ehrlichkeit und Integrität - damit kommen wir ganz gut durch den Tag.

Wir saßen da nun und ich sagte zu Tantchen: " Es ist merkwürdig, seit die Rabauken da sind, frage ich mich vermehrt, woher wir kommen? Was soll ich den Jungs später mal sagen, wenn sie beginnen, zu fragen, wo ihre Wurzeln sind? Ehrlich gesagt, habe ich nur eine Idee unserer Herkunft und die reicht gereade mal bis Uroma. Könntest du mir nicht mal aufschreiben, wie es war und wo wir herkommen? Es gibt für mich immer nur Fragmente, Bruchstücke und es fehlt irgendwie das große Ganze."

Hat sie mir versprochen und auch gemacht. Es hat zwar gedauert, aber das Warten lohnte sich, denn das, was sich in dem Päckchen befand, übertraf meine Erwartungen bei Weitem:




Die Ahnen

Ich weiß nun, das meine Vorfahren im Rahmen eines Ansiedlungsprojektes aus Rheinland-Pfalz und aus Österreich nach Galizien auswanderten, was heute größtenteils zur Ukraine gehört.

Die erste, leider völlig undatierte Berufsbezeichnung eines meiner Ahnen ist dann auch "Kolonist". Laut dem mitgelieferten Verzeichnis "Siedlungen und Wohnorte der Deutschen in Galizien" wurde der Ort, an dem meine frühen Verwandten sich niederließen, 1800 als Tochtersiedlung einer bestehenden slawischen Siedlung gegründet.

Es scheint als wären meine Ahnen Gründungsväter dieser Siedlung gewesen, denn das erste verlässliche Datum ist das Geburtsdatum meines Ur-Ur-Ur Opas, Felix Alexander, geboren 1817. Die Linie meiner Uroma kann ich sogar noch zwei Generation weiter zurück verfolgen.

Wenn Ur³Opa also 1817 geboren wurde und ich eine durchschnittliche Lebenserwartung von 50 Jahren annehme, steht zu mutmaßen, dass diese Wurzel bis ca. 1715 reicht. Ich finde das sehr erstaunlich und auch mehr als interessant, es hat Suchtpotential:

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Egal. Sie müssen meine Begeisterung auch nicht teilen, weiter geht´s.

Felix war von Beruf Salzsieder und heiratete die wunderschöner Appolonia Hardowska (geb.1830) und wenn Sie sich jetzt wundern, wieso ich weiß, dass die wunderschön war, dann lesen Sie doch bitte nochmal den Namen: Appolonia....mhm....göttlich. Beruf: Bauerntochter.

Leider kann ich den Unterlagen nicht entnehmen, wann gerheiratet wurde, wohl aber wann gestorben:

Felix Alexander 1871, Appolonia 1865. Ich stell mir das recht traurig vor, denn so lange können die beiden nicht verheiratet gewesen sein und mein Ur-Ur Opa, Franz Alexander, der dieser Ehe entstammt und 1858 das Licht der Welt erblickte, wurde dann mit 13 Jahren Vollwaise.

Er war von Beruf Schustermeister und heiratete 1897 die Bauerntochter Ludwika Müller (geb. 1871). Weiteres geben die Daten zu diesen beiden nicht her. Leider.

Aus dieser Ehe entstammt mein Ur-Opa Gustav Alexander.

Gustav wurde 1900 geboren und heiratete 1925 Katharina, die 1904 geboren wurde. Sein Beruf war Schustermeister mit eigener Werkstatt, die er von seinem Vater übernahm.

Katharina indes entstammte einer Großbauernfamilie mit großen Ländereien. Diese Katharina, die für mich immer nur Ur-Oma hieß, erinnere ich im gleichen Maße streng wir gütig und als Zentrum der Familie.

Wahrscheinlich würde es mich gar nicht geben, würden Gustav und Katharina nicht gehandelt haben, wie sie es taten:


Die Flucht





Meine Tante, die eines der 5 Kinder (Friedl, Ilse, Wilhelmine, Sigmund und Traudel) von Kathrina und Gustav ist und somit eigentlich nicht wirklich meine Tante, hat mir eine 10 seitige handschriftliche Aufzeichnung ihrer Erinnerungen an die Umstände ihres Lebensweges mitgeschickt:


Deine Urgroßeltern haben 1931-32 ein Haus auf der Podlierze gebaut, 1938-39 kamen ein neuer Stall und eine neue Scheune hinzu.

Tante Friedl und ich sind die ersten Klassen in die Polnische Schule in Dombrowa gegangen. Später dann in die deutsche Privatschule in Broczkow.

Am 1. September brach der Krieg mit Polen aus. Die Deutschen kamen bis Lemberg. Dann ging der Erlass raus, alle Deutschen sollen Heim ins Reich. So wurde alles verkauft oder verschenkt. Erwachsene durften Gepäck von 50kg und Kinder von 25kg mitnehmen.

Wir sind im Januar am 13. 1940 in Güterwagen verladen worden und es ging Richtung Deutschland.

Dann begann für uns ein 13 monatiger Lageraufenthalt. Wir sind auch im Lager als Deutsche eingebürgert worden, denn bis dahin galten wir als Deutsche mit Polnischer Staatsangehörigkeit.




Im Februar 1941 sind wir dann nach Breslau gekommen und bekamen eine Wohnung zugewiesen. Wir sind dann alle zu Schule gegangen.

(...)

Januar 1945 spitzte sich die politische Lage zu und Frauen und Kinder sollten aus der Stadt raus. Vater hatte eine Schwester in Beuschen auf dem Lande, da ist Mutter mit den drei kleinen Kindern und dem Nötigsten hingezogen, da es ja immer hieß, es geht bald wieder zurück.

Friedel war im Arbeitsdienst und ich arbeitete im Kindergarten. Später bin ich auch nach Beuschen.

Von dort sind wir dann im Schneegestöber zu Fuß über Land weiter gezogen. Mutter mit Mienchen und Siggi an der Hand und ich im Körbchen tragend die kleine Schwester.

Wir sind mit dem allerletzten Zug rausgekommen, der voll war mit verwundeten Soldaten. Sie machten aber Mutter und den Kindern Platz.

Es war eine schlimme Fahrt, weil man ja nicht wusste, ob wir jeh an ein Ziel kommen würden, denn wir wurden laufend von Russicher PaK beschossen. Die Kugeln flogen nur so.

(...)

Mir haben sich die brennenden Städte und Dörfe unauslöschbar eingeprägt. Als ich später nach Frankfurt/Oder sollte, habe ich mich geweigert, weil ich die Stadt nachts brennen sah. Es ging nicht.

Wir sind dann wirklich mit Verwundeten und Toten in Berlin gelandet und kamen ins Lager, das wir bald wieder verlassen mussten. So kamen wir irgenwie nach Wittenberg.

Noch wussten wir nichts von Vater und Friedl. Aber die Tochter von Vaters Bruder lebte in Prag. Die schrieben wir an und so hat sie uns wieder zusammengebracht.

Vater wurde noch zum Volsksturm einberufen und wir mussten aus Wittenberg raus. Wir sind von Wittenberg über die Dörfer zu Fuß bis nach ******* gekommen. Nun war wieder die bange Frage, wo ist Vater und geht es im ihm gut?

Er war in Gefangenschaft in einem amerikanischen Krankenhaus. Die gefangenen Verwundeten wurden von Polen gepflegt. Diese unterhielten sich und so erfuhr Vater, der ja fliessend polnisch sprach, dass das Lager geschlossen werden und alle Inhaftierten nach Amerika geschickt werden sollen.

Vater fragte, ob er nicht abhauen könnte. Er wurde gefragt, ob er zivile Kleidung hätte, was er bejahte. Daraufhin wurde er mit Brot versorgt und der Wachhabende sagte ihm, dass er die Tür nicht schliessen würde und Vater möchte bitte in der Früh gehen. So kam Vater frei und bei Bitterfeld über die Mulde nach Wittenberg. Wir waren da schon weg.

Wir gaben Leuten, die zurück nach Berlin gingen, unsere neue Anschrift mit. Nun wollten aber die Russen, die die Elbbrücken bewachten, keinen hinüberlassen. Zum Glück fand sich die vorgeschriebene Zahl derer, die rüber wollten.

Und so kam es, dass Bekannte an dieser Brücke Vater trafen und ihm von uns berichten konnten. Kurz darauf waren wir durch Gottes Gnade wieder vereint und es ging daran, sich eine Existenz aufzubauen.

Mienchen und Siggi gingen in die Schule, Friedl und ich gingen im Haushalt arbeiten. Vater bekam eine schwere Arbeit im Kohlehandel. Für seine zarte Gesundheit und sein Magenleiden war das nicht gut.

(...)

Das andere weißt du ja. Meine drei Geschiwster haben alle eine Familie gegründet. Ich bin Schwester geworden und bin nun seit 1948 in Dessau und trage eine große Sehnsucht nach meinem geliebten Galizien im Herzen und die werde ich auch mit ins Grab nehmen.

Ich will nicht undankbar sein. Wir haben sehr viel Glück und tüchtige Eltern gehabt, aber Heimat bleibt Heimat.




Ich habe mit Ilse telefoniert und mich bedankt und natürlich tausend Fragen gestellt. Es gibt Dinge und Grausamkeiten, die Ilse sah und Familienangehörigen in dieser Zeit widerfuhren, die sie mir nicht schrieb. Es ist nicht wichtig, sagte Ilse. Wichtig ist, so Ilse, dass alle Überlebten. Den Rest gilt es zu vergeben. Ich finde, dass dies eine starke Aussage ist.

Merkwürdigerweise habe ich seit dem wiederholten Lesen der Unterlagen das Gefühl, dass ein seelischer Anker geworfen wurde und ich fester mit dieser Welt verbunden bin. Ich finde das strange. Mag am Alter oder den Jungs liegen.

Ilse dagegen hat das Gefühl, etwas Last, die sie nicht genauer beschreiben kann, abgegeben zu haben. Erstaunlich - es sind doch nur Worte.

Auf jeden Fall kann ich den Jungs nun zumindest über den einen Teil der Familie etwas berichten, hübsch verpackt:

Es war einmal, so Anfang 1817, das erblickte Felix Alexander das Licht der Welt.......


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