Samstag, 1. April 2006
Nachtschicht
Sie stieg ein und sagte einfach nur “Fahren Sie los.” Sofort verbreitet sich der Duft ihres Parfüms im Taxi, schwer, dezent und teuer. Nach all den Jahren habe ich so etwas in der Nase.
“Wo soll es denn hingehen?“ fragte ich und bekam ein leises “Durch die Stadt…“ als Antwort.
So fuhren wir ziellos durch die nächtliche und verregnete Stadt und nur das Plopp Plopp des Scheibenwischers durchbrach die Stille im Wagen. Draussen glitt die Stadt in surrealen Farben, kalt, nass und zwielichtig vorbei.
Ich betrachtete meinen Gast im Spiegel. Sie war schön, nicht mehr ganz jung aber schön. Den Kopf seitlich an die Scheibe gelehnt, schaute Sie mit ausdrucksloser Miene hinaus in die Nacht. Sie wirkte traurig und abwesend.
“Haben Sie ein Ziel, wo ich Sie hinbringen kann?“ fragte ich noch einmal.
“Bitte fahren Sie mich einfach nur herum.“
„Möchten Sie etwas Bestimmtes sehen?“
„Nein.“
Ich schaute durch den Spiegel zu ihr, während dieser kurzen Unterhaltung und für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich ihr Gesicht richtig sehen. Sie war schön und traurig.
Schweigend fuhren wir durch die Nacht und erreichten schon bald die Außenbezirke der Stadt. Mir war nicht bewusst, dass wir hier raus fuhren. Wahrscheinlich eine alte Gewohnheit, denn ich bin hier aufgewaschen, kannte jeden Winkel. Alles sah aus wie zu meiner Zeit, nur noch etwas schäbiger. Keine Entwicklung, Stillstand und der ist bekanntlich der Tod.
„Können Sie bitte die Heizung anmachen?“
„Natürlich, geht es Ihnen gut? Ich mein…“ weiter brauchte ich nicht fragen, denn ich sah, dass sie schon wieder in sich gesunken war und nicht reagierte.
So folgte ich weiter alten, fast vergessenen Strassen meiner Jugend und schwelgte in Erinnerungen, als sie plötzlich in einer Art, als hätte sein Entscheidung von großem Ausmaß getroffen, sagte:
„Fahren Sie mich nach Hause. Eschenweg 7.“
Eschenweg 7 ist eine sehr feine Adresse. Ziemlich Zentral, ziemlich teuer, ziemlich vornehm. Ich setzte den Blinker, bog ab und fuhr ohne weiteres Gespräch zurück in die City.

Bei ihr angekommen betrug der Fahrpreis stolze 346,- Euro. Sie gab mir 500 und erklärte, ich solle auf 400 rausgeben. Das tat ich gern, stieg aus und öffnete ihr die Wagentür.
„Möchten Sie noch mit rauf kommen?“ fragte sie unvermittelt und in einem eher beiläufigen Ton. Zuerst war ich wie gelähmt, denn so etwas passierte nur im Kino, aber nicht mir! Tausend Gedanken flogen durch meinen Kopf, die jäh unterbrochen wurden.
„Was ist nun?“ fragte sie mit leicht ungeduldigem Unterton.
„Nein, ich glaube nicht.“ presste ich heraus, wohlwissend, dass meine Kollegen mich auslachten, würde ich ihnen diese Geschichte erzählen.
„ Wie Sie wollen.“ sagte sie und ging betont langsam zu ihrer Haustür. Mir blieb nichts weiter als davon zu fahren, aber den Rest der Nacht phantasierte ich nur darüber, was alles passieren hätte können.


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