Montag, 22. Oktober 2007
blowin' in the wind
Und es kamen die Stunden, die ich so liebe, Unentschlossenheit, brüchige Nacht und blutjunger Tag.
Hell und Dunkel im immerwährenden Zweikampf und wir gingen des Weges, ganz ohne Ziel.
In uns trugen wir Herzen, diese fremden, fernen Gestade, mal von Liebe geflutet, oder ihrer verebbt, aber immer schwer zu erobern, ihr gewinn - ein Gewinn und ihr Verlust, eine der größten Niederlagen mit schwärenden Wunden und schwelenden Gedanken - in Ewigkeit.
Seite an Seite liefen wir dort, schweigend.

Sonnenlicht, pur und verheißungsvoll, leckte an den Firsten der Dächer, troff herab an Häuserwänden, floss über Laternenmasten und vertrieb die Schatten der Nacht aus allen Winkeln, schneller, als diese sich dort einzufinden pflegten. Der Tag hatte gewonnen - wie immer und wie immer nur auf Zeit, denn bald schon würde die Nacht sich zurückholen, was sie in diesen Minuten verlor.
Auch du und ich können nicht immer gewinnen, du und ich müssen stets aufs Neue in Schlachten ziehen, immer und immer wieder den Weg beschreiten, den Bataillone vor uns nahmen, oft bis in den Untergang und ein Stück weiter.
Fraglich, ob dies der wahre Sinn ist, ob die Gestirne und das Universum uns schon immer zeigten, welchen Weg es zu beschreiten gilt? Bestimmt, es wäre nicht das erste Mal, dass die offensichtlichste aller Antworten auch die richtige ist. Doch, auch du und ich erkennen sie nicht immer, wie wir so viele Dinge nicht sehen. Der Sehende sieht nur das, was ihm innewohnt, wohnt da nichts, sind wir blind und unter den Blinden ist der Einäugige ein Marketingmann - wir kaufen ihm alles ab.

Immer weiter ging es. Auf unserem Weg begegneten uns drei zerrissenen Gestalten. Pennergleich gekleidet saßen sie da, erfreuten sich ihrer bescheidenen Existenz mit Gitarrenspiel und ein wermutschweres Blowin' in the Wind erklang durch die morgendlichen Flure der Stadt.
„Das ist der Grund warum ich hier so gerne wohne.“ sagte sie, lächelte und deutete auf eine Haustür. „Dort.“
Ich folgte ihr durch schäbigen Einlass hinein in die Heimstatt ihrer friedvollen doch ruhelosen Seele, die da ist, wenn sie da ist, dazwischen bleibt nicht viel, nur die Stille des Tages, die Einsamkeit einer leeren Wohnung und die Welten zwischen den Bücherdeckeln.

Ich stand vor ihrem Buchregal, folgte mit schnellem Blick den Bücherrücken, las, saugte auf, etwas, was mir diese sagen wollten oder konnten…
„Liest du auch?“, wollte sie wissen, während sie mir einen Kaffee reichte.
„Ja. Gelegentlich“, antwortete ich und verrührte den Tasseninhalt zu gleichmäßigem Braun.
„Ich lese für mein Leben gern. Es ist eine andere Welt, dort kann ich alles sein, auch mutig und schön.“
Sie seufzte und ließ sich auf die Couch sinken.
„Ja“, sagte ich, „Bücher sind magisch.“ Und setzte mich neben sie.

Der Wind fand seinen Weg durchs geöffnete Fenster, blähte den Vorhang auf und in seiner Gefolgschaft strömten morgendliche Sonnenstrahlen herein, auf ihrem Rücken - Millionen Sterne aus Staub und gleich hinterher – die Geräusche der erwachenden Stadt.
„Ich werde jetzt gehen“, sprach ich zu ihr, unsicher, ob sie mich hörte, denn der Schlaf hatte sich scheinbar ihrer bemächtigt.
„Ja, tu das.“ murmelte sie.
„James?“
„Ja?“
„Werde ich auch die Liebe jenseits der Bücher finden? Hier?“
„Lieben heißt kämpfen. Du bist eine große Kämpferin, du wirst deine Belohnung bekommen, ganz bestimmt.“
Sie lächelte im Halbschlaf.
„Du bist so ein verdammter Lügner.“
„Nach Tag kommt Nacht, kommt Tag, kommt die Liebe, auch zu dir.“
Ich deckte sie zu, bettete sie ein wenig.
„Wann?“
„The answer, my friend, is blowin' in the wind…” Während ich es sang, musste ich lachen.
„Oh, du Kasper!”
„Wird es gehen?”
„Ja, geht schon. Ich sollte eigentlich die Prothese abnehmen, aber ich bin zu müde.“
„Soll ich es tun?“
„Untersteh dich!“
„Also gut. Ich gehe jetzt. Ruf mich an, ja?“
„Mach ich. Geh jetzt.“
„Gute Nacht, oder besser: Schönen Sonntag noch.“
„Nacht.“


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