Dienstag, 22. Juli 2008
Was der Holzkopf nicht weiß
Selbstgeschnitzter Holzkopf, Cabman, Kölva 1995

Mit Sturm in der Seele und den Gedanken, sende ich Ihnen heute die betrübliche Nachricht, dass es an dieser Stelle ruhiger werden wird. Es ist - wie immer - ein Zeitproblem, welches ich da aufkeimen sehe, ganz ähnlich dem Greisenalter, nämlich leise und verschwommen.

Das mag den einen freuen, die andere sowas von nicht interessieren und wieder andere werden sich, angesichts dieser traurigen Information, nicht einer kleinen Träne erwehren können. Besonders nicht Holzkopf, den Sie da oben sehen, und der seit 1995 mein treuer Begleiter ist. Ihn trifft die Zukunft besonders hart, denn er wird im Bücherregal platzmachen müssen für, TÄRÄ:: MEINEN NOBELPREIS!

Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig, in welcher Kategorie, aber wohl sicher, dass ich dann auf lange Vortragsreisen muss. Deswegen werde ich auch nicht mehr so oft dazukommen, hier ungefragt, aber deswegen nicht minder laut, meine unbedeutende Meinung abzusondern.

Und wie es dann immer so ist, zieht das ein Problem ein anderes nach sich: Ich brauche eine neuen Koffer und übe auch schön beträchtlich für die geeignete Pose für das Bild des Schutzumschlags meines SPIEGEL-Bestsellers. Den Titel dafür brauche ich auch noch. Deswegen wende ich mich vertrauensvoll an die hier vorbeidefilierenden Leser und skizziere kurz meine These, die den Arbeitsnamen trägt:

Das Joghurt-Prinzip

oder

Phänomenologie der
gesellschaftlichen Akzeptanz des Warenüberangebotes in ökologisch wie ökonomisch irrefutäbelen schlechten Zeiten


Überladenes Regal mit Milchspezialitäten


Wie oben gezeigtes Bild eindrucksvoll verdeutlicht, besteht bei meinem REWE-Markt um die Ecke eine riesige Auswahl an Joghurt. Warum das so ist, kann schnell erklärt werden:

Unternehmen sind dazu verdammt, zu wachsen. Tun sie es nicht, tun es andere, das nennt man dann Wettbewerb und irgendwann wird es den, der nicht mit dem Markt wächst, nicht mehr geben. Darum differenzieren Unternehmen mehr und mehr ihre Produkt-Reihen, definieren Zielgruppen und segmentieren diese in unterschiedliche Produktranges, auch wenn die betroffene Zielgruppe gar noch gar nicht weiß, dass es sie, also die Zielgruppe, gibt. Das wird dann mit massivem Werbeaufwand jedem willigen Bürger ins Gehirn gebrannt.

Um bei den Joghurt-Beispiel zu bleiben und zur Erklärung, diese Skizze:
Von mir selber gemalt, zur Veranschaulichung

Jedes Produkt (Ausnahmen bestätigen hier die Regel) hat einen Lebenszyklus. Dieser kann verlängert werden, in dem Produkte einfach einen Relaunch erfahren. Der Grundstoff Joghurt bleibt immer gleich, was gut für dessen Einkaufspreis ist, aber die Fruchtbeigabe wird angepasst. Irgendwann produzieren wir 8 verschiedene Joghurts und wachsen auf hohem Niveau, denn das erste Produkt, mit dem wir mal starteten, können wir irgendwann aus dem Sortiment nehmen, ohne Absatzeinbußen hinzunehmen. Das wäre theoretisch der Produzentenhimmel.

Dem gegenüber steht aber Hermann Heinrich Gossen mit seinen sogenannten Gossensches Gesetz:

Nummero Uno

„Die Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit der Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt.“

Hermann Heinrich Gossen

Will heißen: Auch wenn wir noch sehr Erdbeerjoghurt mögen, irgendwann ist Schluss, weil wir uns überfressen haben und das Zeug nicht mehr sehen können. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dies auch mit Williams Birne 40Vol.% 0,7 l funktioniert.

Heißt aber auch, dass es eine Planungsunsicherheit für den Produzenten gibt. Er weiß nicht, wann seine Zielgruppe, trotz der wahnsinnig tollen Werbekampagne, keine Lust mehr auf Erdbeere hat. Um dem zuvorzukommen, werden wir mit Produktinnovationen bombardiert. Diese sollen nur sicherstellen, dass im Falle des Überfressens eine Alternative bereitsteht. Ob die allerdings angenommen wird oder nicht, dass weiß niemand, denn die Präferenzen sind von einer Unmenge Einzelfaktoren abhängig. Sie würden sich erschrecken, wie gering der Prozentsatz von erfolgreichen Produktneueinführungen im LEH ist. Und noch viel erschrockener wären Sie, wenn ich Ihnen schriebe, in welchem Euro-Bereich die Flops zu beziffern sind.

So. Kommen wir nun zu Nummero Dos, die eigentlich mit Vorangeschriebenem einhergeht:

Nummero Dos

„Der Mensch, dem die Wahl zwischen mehren [ sic ] Genüssen freisteht, dessen Zeit aber nicht ausreicht, alle vollaus sich zu bereiten, muss, wie verschieden auch die absolute Größe dieser Genüsse sein mag, um die Summe seines Genusses zum Größten zu bringen, bevor er auch nur den größten sich vollaus bereitet, sie alle teilweise bereiten, und zwar in einem solchen Verhältniß, daß die Größe eines Genusses in dem Augenblick, in welchem seine Bereitung abgebrochen wird, bei allen noch die gleiche bleibt.“

Hermann Heinrich Gossen

Heißt: Wenn Sie im Dezember einer warmen Wohnung einen ungleich höheren Nutzen beimessen als z.B. Erdbeerjoghurt, oder Willimas Birne, wird es zu einer Verschiebung ihrer Ausgaben führen. Sie werden vielleicht weniger Joghurt kaufen, sehr zum Leidwesen des Produzenten, der eventuell die Winteredition auf den Markt brachte, aber sehr zu Ihrem persönlichen Nutzen und Vorteil. (Hier liegt übrigens auch der Grund, warum Geringverdiener meiner Meinung nach bei Energieaufwendungen entlastet werden sollten.)

Aber soweit muss das Beispiel gar nicht gefasst sein. Wenn Sie vor dem Regal da in meinem REWE-Markt stehen und unheimlich Lust auf Erdbeerjoghurt haben, werden Sie sich doch sicherlich auch fragen, warum Sie bei dem einen Hersteller für 100gr 0,49€ bezahlen sollen und bei dem anderen 0,69€, oder? Hier greift dann wieder das Marketing und hierin ist auch der Erfolg der Discounter zu sehen.

Wenn Sie sich jetzt fragen sollten, wo das Alles hinführen soll, denn soweit ist es ja Allgemeinwissen, dann sage ich, recht haben Sie. Ich sehe hier aber ein Dilemma:

Ist es nicht mit Hinblick auf die Zukunft wichtig, mit den Ressourcen schonend umzugehen?

Ist es aber nicht auch so, dass je atomisierter der Herstellermarkt ist, desto weniger sich dessen Akteure dem Betriebsoptimum nähern können, desto höher deren Verschwendung von Ressourcen, Energie und Geld ist. Ist es nicht so?

Müsste dies nicht auch im Umkehrschluss bedeuten: Ein Oligopol des Herstellermarktes wäre am effizientesten und damit am Erstrebenswertesten?

Brauchen wir 10 verschiedene Joghurthersteller, die alle die 20 gleichen Sorten im Portfolio haben?

Brauchen wir, wie neulich bei Herrn Mark gelesen, für jeden Lebensabschnitt eine Zahnpasta?

Sagen Sie es mir, denn darüber nachdenken bereitet mir Kopfschmerzen. Ich erwähne Sie dann auch im Vorwort und lade sie zu einem Vortrag ein. Es gibt dort bestimmt auch Häppchen.


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