Vorvorneulich wurde ich vom mir weniger geliebten Zweig der angeheirateten Verwandtschaft zur Kommunion meines Neffen eingeladen. Katholisch. Auch noch.
Die Faktizität dieser Kombination wirkte sich auf mich demotivierend aus; die Vorstellung, für eine solche Veranstaltung am Wochenende ein paar hundert Kilometer Auto zu fahren, bewirkte ihr Übriges und dementsprechend wohlig war mit mir darüber zu reden. Am Ende versicherte ich aber meiner Frau, dass ich nicht nur für sie mitfahren würde, sondern auch wenig obstinant bis handzahm sein würde.
War ich auch. Glaub ich.
Meine Schwiegermutter begrüßte mich mit den rezeptionswarmen Worten:
„Schön, dass Du da bist. Der Anzug steht dir. Aber, mit der Sonnenrille, also da siehst du aus wie ein italienischer Mafioso.“
„Dann pass ich ja hierher, bei all den Katholiken und damit wir uns verstehen, ich bin nur Cabwoman wegen hier.“
Hatten wir das geklärt.
Nach dem Einlass fanden wir uns auf wenig spektakulären Plätzen im Querhaus wieder, was für mich völlig ok war, denn bei der Vielzahl vorwiegend migrationshintergründiger Vielflieger Vielgläubiger, war ich ganz froh, dass wir überhaupt Sitzplätze hatten.
Das Prozedere als Solches interessierte mich wenig, ich schaute mir lieber die Leute an und lauschte dem Auserwählten, der mir per se unsympathisch war. Das Ganze tröpfelte an mir vorbei und zwar bis zum dem Satz:
„Herr, gib mir die Kraft, mein Leben so zu gestalten, wie es dir gefällt!
Und nochmal in laut:
„Herr, gib mir die Kraft, mein Leben so zu gestalten, wie es dir gefällt!
Nun kann ja jeder diesen Satz interpretieren, wie es beliebt. Für mich unterstreicht er einmal mehr, dass Religion nichts weiter als ein Herrschaftsmittel ist. Warum genau sollte jemand sein Leben so gestalten, dass es irgendeinem Herrn oder sonst wem gefällt?
Wir standen dann irgendwann wieder vor der Kirche und die meisten Menschen um mich herum wirkten freudig beseelt. Auch die lieben Verwandten.
Ich fragte sie unvermittelt, ob jemand verstanden hätte, dass vom Auserwählten nix weiter als die heilige Knechtseligkeit eingefordert wurde und wie man so etwas unwidersprochen stehen lassen könnte. Warum regte sich keiner außer mir darüber auf?
Und hätte es nicht folgerichtig heißen müssen:
Herr, gib mir die Kraft und den Kontostand mein Leben so zu leben, wie es mir gefällt.
Die Verwandten schauten mich etwas fragend an.
Schwiegermutter lächelte hilflos und sagte, „du nun wieder.“
Die zur Festivität einladende Anverwandte wandte gewandt ein: „Hat jetzt jemand Lust auf Butterkuchen?“
Der war dann auch gut, der Butterkuchen.
Ich saß mit der Mitarbeiterin in einer delikaten Sache im Büro und besprach mit ihr die Präsentation, die wir am nächsten Tag in Barcelona halten wollten.
Es ging um Geld.
Es geht häufig um Geld.
Wir diskutierten gerade die Conclusion, als eine sehr aufgeregte Stimme über die zentrale Lautsprecheranlage jemanden aus der Technik in den Versandt zu kommen aufforderte.
Ich lästerte und sagte, „wer weiß, was sie nun schon wieder nicht hinbekommen.“
Seit Wochen litt ich mit meiner Mannschaft darunter, dass andere Teile des Systems nur bedingt funktionierten und wir unsere Zahlen nicht zusammenbrachten.
Die Mitarbeiterin und ich gingen nochmal alle Charts durch und machten uns dann auf den Weg in unser Hotel.
Unser Flug sollte am nächsten Tag sehr früh gehen und wir bereits um vier Uhr von unserem Fahrer abgeholt werden, daher wollte ich eigentlich nur schnell ins Bett.
Wir hatten gerade das gläserne Treppenhaus betreten und wollten den Fahrstuhl rufen, als jede Menge Feuerwehrfahrzeuge auf den Hof fuhr.
Die Mitarbeiterin sagte, „du, wir sollten nicht den Fahrstuhl nehmen, auch wenn kein Feueralarm gegeben wurde. Irgendetwas scheint ja nicht in Ordnung zu sein.“
Stimmte.
Also nahmen wir die Treppe, blieben auf dem ersten Absatz stehen und schauten zu, wie immer mehr Rettungskräfte bei uns vorfuhren.
Wir betrachteten diese Szenerie schweigsam.
Unten klappte die Tür und keuchend kam jemand die Treppe hinaufgerannt.
Es war mein Kollege, GF Produktion, der an mir vorbeistürmte.
Ich fragte, „was ist eigentlich los?“
„Krise!!“, rief er. „Ein Unfall, es sieht nicht gut aus. Wir brauchen das Krisenteam.“
Verdammt, dachte ich, denn ich bin Mitglied des Krisenteams.
Ich entschuldigte mich bei der Mitarbeiterin und lief dem Kollegen hinterher in sein Büro.
Er telefonierte bereits aufgeregt.
Endlich waren alle Mitglieder des Teams versammelt.
Wir erfuhren, dass ein Mitarbeiter der Verladung von der Laderampe eines Trailers fiel und sich schwer verletzte.
Nach kurzer Diskussion kamen wir zu dem Entschluss, dass nicht alle Personen des Teams vor Ort zu bleiben brauchten. Insbesondere meine Person wurde aufgrund der nächsttäglichen Reise aus der Verantwortung entlassen.
Ich ging wieder zu der Mitarbeiterin, die auf mich im Treppenhaus wartete.
„Lass uns ins Hotel,“ sagte ich und erzählte ihr auf dem Weg nach unten, was ich in gerade erfahren hatte.
Als wir aus dem Bürokomplex traten, konnte ich unter dem besagten Trailer die Füße des Mitarbeiters sehen. Die Feuerwehrleute hatten dankenswerterweise den übrigen Sichtbereich mit Decken abgehängt.
Wir fuhren zum Hotel und trafen uns mit einem weiteren Mitarbeiter, wir waren zum Essen verabredet. Angesichts der Ereignisse war uns aber nicht nach Essen zu mute. Also schwiegen wir in unser Bier. Jeder für sich.
Eine weitere Kollegin, die noch etwas länger im Büro war, stieß zu uns. Sie setzte sich, war kreidebleich, sagte, sie bräuchte jetzt einen Schnaps, denn gerade wäre der Leichenwagen vorgefahren. Es wurde noch stiller.
Meine Mitarbeiterin und ich spulten den Termin am nächsten Tag in Barcelona professionell runter, aber es war nicht wie sonst. Die Dinge, die wir verhandelten, kamen uns belanglos und unwichtig vor.
Wir waren beide berührt, schweigsam und ich in den folgenden Tagen merkwürdig angefasst. Ich kannte diesen Menschen nicht und dennoch ging mir sein Tod nah. Niemand sollte so aus dem Leben gerissen werden.
Es stellte sich heraus, dass alle Sicherheitsbestimmungen eingehalten wurden, alles wie immer und doch auch nicht. Der abschließende Bericht der Polizei und der Versicherung besagte, dass es eine unglückliche Verkettung von Umständen dazu führte, dass der LKW-Fahrer der Meinung war, er wäre abdockbereit. Als er anfuhr fiel der Versandmitarbeiter zwischen Trailer und Laderampe und sein Hubwagen hat ihm den Schädel zertrümmert. Er hinterlässt eine behinderte Ehefrau und eine ebenso eingeschränkte Tochter.
Ich setzte mich dafür ein, dass wir als Firma unserer Verantwortung nachkamen. Es gab keinen Widerspruch und obwohl wir alles an Hilfe gaben, brauchte ich Wochen, um diesen Abend zu verkraften, wohl auch, weil ich immer, wenn ich im Büro bin, die Füße des Menschen vor Augen habe, der dort verstarb.
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