Sonntag, 11. November 2012
Vaterherz


Und dann hörte ich mich rufen, dass wir nun aber pronto in die Klinik müssen, denn das, was ich sah, schien mir mehr als bedenklich.

Also düsten wir noch vor Ladenöffnung, was deutlich am geringen Verkehrsaufkommen zu spüren war, am Samstag schnell Richtung Kinderkrankenhaus …. in dieser Situation hätten Sie nicht vor mir fahren wollen.

Am Empfang der Notaufnahme saß eine welke Dame, deren Charakter mir knitterig erschien, denn sie fragte sehr enervierend nach, in einer Situation, in der es mir nicht schnell genug gehen konnte.

Ich zügelte mich aber, hatte ich doch mal gelernt, auch in solchem Stress sachlich und ruhig Name, Anschrift und Anliegen vorzutragen. So auch hier. Viel später an diesem Wochenende sollte ich feststellen, dass diese Damen und Herren in der ZNA eines Kinderkrankenhauses einen Knochenjob haben. Besonders wegen der Eltern.

Ich blieb ruhig und die Dame stellte fest, dass wir nicht ganz unbegründet da waren. Sie notierte alles, drückte uns einen Aufnahmezettel zur Ausfüllung in die Hand und wies uns an, nochmal eben Platz zu nehmen. Wir würden gleich abgeholt.

War auch so.





Nach 10 Minuten kam eine sehr nette Schwester, die uns in ein Behandlungszimmer begleitete. Ich, immer noch darauf bedacht, äußerlich ruhig zu wirken, bemerkte so beiläufig wie es mir möglich war, dass dies eine nette Station sei und ja auch so gut wie nix los wäre. Die Schwester lachte und meinte, dass dies eher die Ausnahme sei. Stimmte. Habe ich an dem Wochenende dann auch festgestellt.

Es dauert auch nicht lang, da erschien die diensthabende Ärztin. Typ Barbie, beidseitig gestiefelt bis kurz unters Articulatio genus, in einer Jeans, bei der ich mich fragte, wie Frau Doktor da eigentlich reinkam. Das blonde Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und sie trug einen Pullover, der geographisch gesprochen, bis nach Mogadischu ausgeschnitten war und dadurch ein Blick nach Canberra ermöglicht wurde.

Frau Doktor wirkte sehr nett und vor allem kompetent, sah sich Cabkid an und meinte dann sofort:

„Da faxen wir gar nicht lange rum. Wir machen eine Sono und ich rufe meinen Chef dazu.“

Im Sono-Raum trafen wir dann auf den Chef-Doktor, der sich im Rahmen des bildgebenden Verfahrens ein solches, nämlich Bild, machte und mit unserer netten Doktorin übereinstimmte, dass es zwar einen Befund gäbe, dieser aber nicht eindeutig sei, weswegen Cabkid auf jeden Fall zur Beobachtung in der Klinik bleiben müsste.

Da überschnitten sich dann bei mir zwei Gefühlslagen und neutralisierten sich zu einem Nix. Zum einen gab es keinen eindeutigen Befund, was hoffen ließ. Zum anderen konnte Cabkid nicht wieder mit nach Hause, was mir bedenklich erschien.

Bezogen wir also das Zimmer auf der Säuglingsstation, welches eigentlich sehr nett war. Es handelte sich, wie alle Zimmer der Station, um ein Familien- und somit Einzelzimmer.

Cabwoman blieb beim Kind, während ich nach Hause fuhr, die relevanten Dinge zu holen. Es war bereits mittags, der Verkehr hatte deutlich zugenommen und Sie hätten mich nicht hinter sich haben wollen.

Zurück in der Klinik, in deren Notaufnahme sich ein buntes Potpourri aus Hamburgern verschiedener Milieus und damit auch Ethnien vereinte, war ich, ansichtig des martialisch wirkenden Kopfverbandes Cabkids etwas geschockt. Ich ließ mich aber überzeugen, dass es nur so schlimm aussah.

Na dann.

Den Nachmittag verbrachten wir mit Lesen und Kaffee und Kaffee und Lesen, bis Frau Doktor vorbei kam, sich Cabkid anschaute und meinte, dass da wohl nochmal ein Sono nötig wäre, da die zwischenzeitlich verabreichten Medikamente zwar das Kind sehr friedlich sein ließen, es aber keine Besserung der Symptome gab.

Gingen wir also dahin.

Es hatte indessen begonnen zu regnen, der Sonoraum lag im Halbdunkeln, nur die Lichter des Eingangsbereichs, gebrochen durch die regennassen Scheiben, beleuchteten den Raum, es war fast heimlich.

Cabkid lag friedlich auf der Liege und ließ alles mit sich geschehen. Frau Doktor umkurvte wieder und wieder mit der Sonde den zu betrachtenden Bereich und sagte irgendwann:

„Tja, es ist nicht eindeutig. Und das wird es auch nicht. Ich habe mit meinem Chef gesprochen und wir sind uns zu 95% sicher, dass wir es mit Medikamenten hinbekommen. Es bleiben aber 5% Restrisiko, die wir nur mittels OP ausschließen können. Wir möchten, dass sie das wissen und sich überlegen, wie wir vorgehen wollen.“

BAM.

Darauf, meine Damen und Herren, war ich nicht vorbereitet, oder ich hatte es verdrängt, aber auf jeden Fall zog es mir kurz den Boden weg und ich hätte vor Ohnmacht, Angst und diesem Entscheidungszwang heulen können.

Frau Doktor merkte das und sagte, sie würde kurz den Raum verlassen, sodass Cabwomen und ich uns beraten könnten, doch, ganz ehrlich, was gibt es da zu beraten?

Cabwoman schaltete schneller und fragte die Ärztin, was diese tun würde, wäre es ihr Kind.

„Ich würde operieren“, antwortete sie ohne zu zögern, weswegen es auf mich sehr überzeugend wirkte.

„Hören Sie, ich will Sie hier nicht belabern, dass Sie einer OP zustimmen. Ich sage Ihnen nur, wie sich der Sachverhalt darstellt. Die letzte Entscheidung treffen Sie. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir im Falle einer OP diese jetzt sofort machen. Dieser Eingriff wäre eine Notoperation, weswegen es ein erhöhtes Risiko gibt. Die Anästhesistin, die eine sehr gute ist, würde Ihnen das gleich erklären.“

BAM.

Und nochmal. In meinem Job nennen wir das Salami-Taktik.

Während ich noch hadert und nicht meinen Blick von Cabkid wenden konnte, wie es da so friedlich bei seiner Mutter auf dem Arm saß, hörte ich eben diese sehr klar sagen:

„Ich will die 5% ausschließen können. Oder was meinst Du?“

Und als ich sie ansah, sah ich die Tränen in Ihren Augen und wusste, dass sie in diesem Moment nicht so stark war, wie es ihre Worte vermuten ließen und ich stimmte zu, denn auch ich erkannte, es gibt nur diesen Weg, auch wenn er einem eine Scheißangst macht.

Frau Doktor sagte: „Gut, dann leite ich alles in die Wege. Sie müssen auch gar nicht wieder auf Station. Wir machen das jetzt sofort. Ich hole eben die Kollegen.“

Und dann war sie weg und wir allein. Jeder für sich und eine Verlustangst machte sich in mir breit, die mich wissen ließ, ich würde es nicht verwinden, würde diesem kleinen Menschen, meinem Kind, jemals etwas geschehen. Jemals. Völlig egal, ob in dieser Situation oder einer anderen. Ich liebe diesen Menschen unvergleichbar und werde alles tun, ihn zu stützen und zu schützen.

Und allein die Vorstellung, das Kind jetzt wegzugeben, in die Verantwortung anderer, Fremder, drehte mir das Herz rum. Und doch muss man manchmal seine eigene Angst bezwingen, seine eigenen Tränen unterdrücken, um denen eine starke Schulter zu sein, die sich auf dich verlassen und das tat ich.

Die Anästhesistin erschien und erklärte und erklärte und erklärte und bei all den vielen Wenn und Könnte konnte einem ebenfalls Bange werden, aber das war dann auch schon egal. Endlich waren die Formalien durchstanden und der OP vorbereitet.

Eine Schwester kam und wollte Cabkid in einem Bett abholen. Wir sprachen uns dagegen aus und trugen es persönlich in den OP und übergaben das Kind direkt an die Anästhesistin.

Sie erklärte uns, dass mit kompletten Vorlauf das Procedere ca. eine Stunde dauern würde und wir uns dann wiedersähen.

Und dann gingen sie. Mit unserem Kind. Die Tür schloss sich und wir standen zu zweit und sehr allein vor dem OP, als wir plötzlich Cabkid schreien hörten und nie fühlte ich mich trauriger und ohnmächtiger und amputierter als in diesem Moment. Dieses kleine Herz beansprucht sehr viel Platz in meinem.

Wir gingen zum Zimmer und stellten fest, dass wir beide nix weiter gegessen hatten. Nach kurzem Überlegen rief ich C+M an, erklärte ihnen die Situation und fragte, ob sie vorbeikommen und irgendein Fast Food Zeugs mitbringen konnten. Und dann zeigte sich, was Freundschaft bedeutet:

C+M wollten sich eigentlich HSV vs. Bayer in der Sportsbar anschauen und hatten auch schon Essen bestellt. Aber, so erklärten Sie mir, das wäre nun auch egal. Sie würden nur schnell aufessen und sich gleich auf dem Weg machen.


Um dies richtig einzuordnen, muss man wissen, dass M ein großer HSV-Fan ist. Sehr groß.

Um die Gewissheit reicher, dass Essen käme, hatte wir nun nix mehr, was oberflächlich ablenken konnte und warteten. Kurz. Dann entschieden wir in den Wartebereich am OP zu wechseln, gerade so, als könnten wir damit etwas bewirken. In Wahrheit ging es wohl nur darum, beschäftigt zu sein.

Wir unterhielten uns über dieses, jenes, nix von Belang und im Gespräch vermeidend, die zarte Decke der vermeintlichen Sorglosigkeit des anderen durch unbedachte Äußerungen zu durchbrechen

Da, ganz unvermittelt, stand der Chef-Doktor vor uns. Leger in Ich-habe-Feierabend-Kleidung und war scheinbar nicht minder erschrocken, uns zu sehen.

„Ach. Da sind Sie noch.“

„Und?“

„Hat man Ihnen das noch gar nicht mitgeteilt? Also, der Befund ist gut. Nix Ernstes. Bekommen wir mit den Medikamenten hin. Die OP hat das Kind gut überstanden und es ist bereits wach. Wir brauchen jetzt ein paar Minuten, um zu sehen, wie stabil das Kind ist. Ich denke Sie können gleich zu ihm. Schönen Abend noch.“

Wir sagten artig Danke und wenn es hörbar gewesen wäre, hätte man das Getöse der vom Herz fallenden Steine sicherlich bis was weiß ich wohin gehört. In Millisekunden fiel das Sorgenkorsett von mir und ich fühlte eine Erleichterung wie bis dahin noch nie. Vaterherz.

Alsbald rief man uns. Cabkid war wach, aber neben der Spur. „Normal“, sagte die Ärztin, „das legt sich bis morgen.“


Dann ging es aufs Zimmer. Das Kind wurde gerade verkabelt, als C+M mit einer McD-Tüte im Raum standen. Selten haben wir uns darüber so gefreut, dass die beiden unsere Freunde sind. Wir erklärten Ihnen alles und sorgenvoll blickte C auf Cabkid: „Was machst du nur für Sachen?“ Super Patentante!

M und ich gingen rauchen. Musste für mich sein. Mit der Beschwingtheit der Erleichterung sagte ich zu M, dass dies wohl nur der erste Besuch des Kindes wegen in einem Krankenhaus sei.

„Stimmt“, entgegnete M. „Ich kenne sie alle. Ich war schon 8-mal mit J im Krankenhaus. In dem hier auch. Damals ist er aus der Hüpfburg gefallen.“

„Tolle Aussichten. Und übrigens: Danke. Und: Entschuldigung, dass wir euch den Abend verdorben haben.“

„Egal. Nach der Info konnten wir eh nicht ruhig das Spiel anschauen.“

„Trotzdem. Wir machen das wieder gut.“

Und dann gingen wir wieder ins Zimmer.





Cabkid schlief. C+M verabschiedeten sich und auch ich merkte, wie müde ich war. Die Stadt war schon längst zur Ruhe gekommen, es regnete noch immer, im Zimmer war es still und die Maschine ließ wissen das Herz- und Atemfrequenz ok waren, die Sauerstoffsättigung auch. Ich verabschiedete mich von Cabwoman und fuhr nach Hause. Sie hätten mich ruhig hinter sich haben können.

Zwei Gläser Rotwein und ich fiel in einen tiefen Schlaf.

EPILOG

All das passierte letztes Wochenende. Am Montag letzter Woche wurden wir entlassen. Seit dem ging es nur bergauf und heute, wo ich dies schreibe, ist Cabkid so in Form, als wäre nie etwas gewesen. Erstaunlich, was ein so kleiner Mensch so wegstecken kann.

Unser Dank gilt den Mitarbeiten des Kinderkrankenhauses Altona und natürlich Euch, C+M!


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Donnerstag, 1. November 2012
Worte, nichts als Worte
Seneca: “Nichts bringt uns in größere Übel, als wenn wir uns nach dem Gerede der Leute richten, welche für das beste halten, was allgemeine Zustimmung genießt, die nicht nach Vernunft, sondern nach Beispielen leben.”

Amen.

Und dazu noch eine recht interessante Meldung aus der Süddeutschen vom 04. September, Heuer, sinngemäß:

Da haben also Forscher festgestellt, dass es nur Mitteilungen aus 140 Zeichen bedarf (Warum wohl 140 Zeichen, Sherlock?), um einen Einblick in das Seelenleben des Absenders zu werfen.

Die so gewonnenen Erkenntnisse wären sogar fahndungstauglich.

Man untersuchte 3 Millionen öffentliche Äußerungen (call them Tweeds) von fast 3000 Usern, um Rückschlüsse auf Psychopathien zu ziehen.

Ich zitiere wörtlich:

"Das Ergebnis: Menschen, die in das psychologische Spektrum der dunklen Triade fallen, verraten sich durch Worte, etwa durch eine aufgeregtere Sprache, besonders kräftige Ausdrücke wie << ich hasse>> oder der verstärkte Einsatz von Konjunktionen wie << weil>, << so dass>> oder << da ich>>.

Menschen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung sollen außerdem weniger flüssig tippen und auch Ersatzlaute wie << uh>> oder << um>>in ihren Tweets verwenden."

Aha. Ganz erstaunlich. Da liest man Blogs mit ganz anderen Augen, Emails auch und wundert sich nicht mehr. Auch nicht darüber, dass ich im Rahmen eines Seminars nur 48 Begriffpaare bilden musste, dessen Kombinationen eine Aussage über mich als Person zuließen.


Ist schon merkwürdig, heute sind es die Worte selbst, früher hat man sich nur der Handschrift gewidmet:


Achtung! Alter Eintrag dahinter
Zeiten ändern sich. Muss man nur akzeptieren. Können.


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Freitag, 26. Oktober 2012
H2O oder Zwischen MUC & HAM gieße ich dann auch noch die Tomaten
Namasté, ich grüße das Licht in Euch.

Möge Euch dieser Tag wärmen wie Termarock 100, nämlich nichtbrennbar, thermisch hochbelastbar und standfest zwischen den Ständerkonstruktionen des Lebens.




So, bevor man nachher wieder Emails mit bekümmerndem Inhalt erhält, ob nichtgelesener Bücher durch Unwissenheit ihrer Existenz, nicht wahr, hier die unbedingt wichtigen Buchhinweise:








Die beiden Schreiberlinge mag ich sowieso, Borowiak ist für mich eine Art Gütesiegel, kann man also nix verkehrt machen und warum Onno so schlechte Bewertungen bekommen hat, kann ich nicht nachvollziehen, aber Heh, ich bin ja auch nicht der Germanist hier.

In diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, dass es scheinbar mehr Menschen gibt, die für sich beanspruchen, ein Buch kritisieren zu dürfen, als solche, die tatsächlich auch ein Buch schreiben. Erstaunlich, was der Welt verloren geht, bei all den....

Dann wollte ich schon im Sommer nochmal auf diese Dame hinweisen, weil ich sie als erfrischend anders empfinde, auch wenn Herr Mark die Micky Mouse Stimme bemängeln wird. Zumindest kann die Dame von sich behaupten, dass sie das ganz allein hinbekommen hat.






Vorvorvorneulich, das Jahr knospte frühjährlich vor sich hin, da las ich im Zentralorgan der Sehnsuchtsprofiteure, nämlich in der (Achtung, jetzt kommt´s) Landlust, dass man nur 100m² Anbaufläche benötige, um eine vierköpfige Familie ganzjährig autark mit landwirtschaftlichen Produkten zu versogen.

Kurzer Exkurs: Diese Landlust war auch neulich im Zeit-Magazin in der Kolumne Herrn Martensteins Thema. Auch er konnte sich deren Erfolg nicht erklären und ich lernte aus diesem Bericht, dass die Landlust eine Auflage von 1 Mio. Exemplaren hat.

Mich würde interessieren, wo diese 1 Mio. abgesetzt wird. Ist es eher der urbane Raum, in dem man sich qua solcher Puplikationen auf seinem 2m² Balkon schwelgerisch der Vorstellung ländlicher Idylle an Apfelkuchen hingibt?

Oder sind es diese Typen, die ich letzte Woche, als ich nach München flog, auf dem Flughafen HAM kennenlernte, die alle Angestellte eines namenhaften Landmaschinenherstellers und auf Schulungsreise waren und auf so knackige Namen wie Hinnak, Hauke, Hein und Sören hörten? Mir ist das ein Rätsel. Exkurs Ende.

Ich las das also und sagte zu meiner lieben Frau, "Liebe Frau", sagte ich, "wenn das stimmt, können wir schonmal einen Marktstand zimmern. Wir machen uns jetzt mit Öko-Produkten selbständig. Slogan: Aus Hamburg für Hamburg, weil Regionales der Region gut tut! na?"

Ok. War jetzt nicht überzeugend, aber wir stimmten überein, dass wir zumindest mal Nützliches auf der Scholle anbauen wollten und starteten mit (Achtung!) Freilandtomaten. Hübsch, oder? Gerade so, als wäre es nicht das Natürlichste, was eine Tomate tut, nämlich im Freiland wachsen... echt.

Haben wir also angebaut.

Liess sich auch gut an. Bis zu dem Tag, an dem wir Sommer hatten und natürlich nicht daheim waren und der Dehydrierung entgegenwirken konnten:


Das Ergebnis war entsetzlich, wie auch schon die Wasserrechnung aus dem Vorjahr. Was nämlich keiner erwähnte, auch nicht in der Landlust: Ein Garten braucht ne Menge Wasser. Ein Nutzgarten noch viel mehr.

Deswegen sprach meine Frau, die resolute, nach Prüfung erdenklicher Alternativen: "Wir brauchen einen Brunnen", und dann kümmerte sie sich auch gleich darum.

Ich indes telefonierte mit den Behörden, muss ja alles seine Richtigkeit und in Hamburg auch ein Bombengutachten vom Kampfmittelräumdienst haben.

Und irgendwann hatten wir alles zusammen, auch die Aussage, dass das Grundwasser in einer Tiefe von ca. 20m fließe und finden Sie damit mal einen Brunnenbauer.

20m ist für normale GALA-Betriebe zu tief und für die Profis zu wenig. Die berechnen allein für die Anfahrt mit ihrem Bohr-LKW ca. 1.000 Euronen.

Waren wir kurz am Verzweifeln, weil doch damit das ganze Projekt Marktstand buchstäblich zu versanden drohte, als, ja, als wir einen Hinweis bekamen, dass es dort noch diese kleine Ein-Mann-Firma gäbe und die hätte sich auf solche Fälle wie den unseren spezialisiert.

Haben wir da angerufen.

Kam tatsächlich auch nur ein Mann - der B R U N N EN B O H R M E I S T E R (BBM).

Sah sich alles an und meinte: Kein Problem.

Ne Woche später stand er dann mit seinem Bohrgerät im Garten:



Nun ist es ja so, dass ich, der ich schlaffmuskeliger Drehstuhlranger bin, maximal Fitnessstudio gestählt, immer ganz begeistert bin von diesen Menschen, die mit ihrem Tun etwas Reales herstellen.

Insofern war ich voll Bewunderung des Mannes und seines Gerätes (Ich weiß wie sich das liest), welches sich da tiefspurig durch unseren Nebengarten schob und frug sogleich:

"Tolles Teil. Wo kauft man den so ein Ding und was kostet es?"

Der Brunnenbohrmeister antwortete:

"Das ist eine Spezialanfertigung. Kann man so nicht kaufen, sondern ich habe es konfiguriert und nach meinen Plänen bauen lassen. Kostet schon ein bisschen was, so wie es da steht. Man muss aber natürlich wissen was man will."

Sag ich ja auch immer, also sinngemäß: "Wer keine Spezialmaschine haben will, bekommt auch keine."

Der Mann fragte dann nach einer Schaufel, da er sein vergaß und fing sogleich an, ein Loch zu graben.



Ich, bar jeglicher Erfahrungswerte, wunderte mich ein bisschen, weil ich annahm, er würde losbohren. Stattdessen schaufelte er sich ein hübsches Loch.

Fragte ich also.

Sagte er, völlig verschwitzt und genervt: "Spülloch."

Aha.

Später, als er weniger mürrisch war, erklärte er mir, dass das Sediment, welches durch das Bohren freigesetzt wird, mit Wasser ausgespült und zu Tage befördert wird. Und damit damit der Schlick nicht wild durch den Garten läuft, fängt er ihn halt im Spülloch.

Aha.

Ich trollte mich daraufhin und liess den Mann seinen Job machen.

Der hat dann 1,5 Tage gedauert, weil mal der Diesel ausging und das andere Mal sich der Bohrer verkeilte, was mich ein wenig nervös werden liess.

Im Gespräch erfuhr ich, dass man diesen Job richtig mit Meisterschule beenden muss, dass der Brunnenbohrmeister mal 6 Jahre Suchbohrungen in und um Hamburg unternahm, um etwaige Bomben zu finden und das unsere Grundwasserlinie bei ca. 17m läuft, der nette Bohrmeister aber bis 25m tief gebohrt hat, falls, wie er sagte, er mal absackt, also der Wasserpegel.

Haben wir uns gefreut, war nämlich ein Festpreis.



Dann kam der Moment, wo das Loch gebohrt und das (Achtung! Profibegriff) 100er KG-Rohr auf 25m eingezogen war und der nette BBM mir zum ersten Mal diese Profi-Tauchpumpe zeigte. Wassen Teil. Aber echt.

Der BBM erklärte, dass Gerät kommt aus der Landwirtschaft, so um Pferdetränken zu füllen und hat mit die stärkste Leistung: Nennwert 12m³. Natürlich ensteht ein Leistungsverlust bei der Wassersäule von ca. 17m, aber es kommen oben noch 7-8m³ an, was immer noch ausreichend ist, ca. 5 Rasensprenger gleichzeitig zu betreiben.

Habe ich mich gefreut und bin erstmal in den Baumarkt gefahren, um einen zweiten Rasensprenger und Gartenschlauch zu kaufen.

Der erste Testlauf mit Handbrause war dann auch sehr beeindruckend, da mit nur einem Abnahmegerät der Wasserdruck spürbar ist und man tatsächlich gegenhalten muss.

Habe ich mich wieder gefreut - bis der Nachbar kam.

Wie es denn immer so ist, die Welt ist voll von Leuten, die nix überhaupt nix wollen, aber es anderen Menschen neiden und schon gar nicht gönnen, wenn diese etwas schaffen.

So auch der Nachbar. Sein Hauptargument: Ist zu teuer.

Hat mir dann gereicht und ich bemerkte spitz: "Es ist nur dann zu teuer, wenn man nicht rechnen kann."

Und dann habe ich meinem Nachbarn vorgerechnet, dass wir bei dem Anschaffungspreis, den nötigen Betriebskosten und dem derzeit gültigen Abwasserpreis ca. 267 Betriebsstunden der Pumpe brauchen, um den Einmalbetrag zu amortisieren. Die Rechnung stimmt natürlich nicht ganz, da unsere 2 popeligen Rasensprenger gar nicht soviel Wasser je Stunde abnehmen, ergo sich die Betriebszeit entsprechend verlängert, was aber immer noch Wurst ist.

Denn selbst wenn wir 400 Stunden brauchen, so sind das bei 2 Stunden wässern täglich, gerade mal 200 Tage, oder 6,6 Monate, oder bei Hamburger Sommern ca. 3 Jahre, die es braucht, bevor es ein Plus-Geschäft ist und das bei einer Lebensdauer der Pumpe von 20 Jahren. Das einzige Risiko ist demnach der Grundwasserspiegel.

Habe ich alles ganz stolz vorgerechnet.

Sagte der Nachbar: Ist zu teuer.

Aha. Wieder ein schönes Beispiel dafür, wie fehlende Grundschulkenntnisse sich unvorteilhaft auswirken können.

Ich habe dann aber doch höflich angeboten, dass ich im Fall eines akuten Wassernotstandes, aufgrund großer Trockenheit, gern einen Zapfplatz für einen Gartenschlauch in des Nachbarns Garten vergeben würde.

Immerhin hat der Brunnenkopf ja 4 solcher Anschlüsse und wir brauchten vorerst nur 3 und schon die alten Berber, nicht wahr, haben nicht mal ihren ärgsten Feind weggeschickt, wenn dieser wegen eines lahmendes Dromedars erst nach Ihnen in der einzigen Oase weit und breit ankam.

Sagte der Nachbar: Nö. Ich will nicht auf dein Wasser angewiesen sein.

Aha.

War uns dann auch Wurst und wir beregneten fröhlich den Sommer über drauf los und arbeiteten hart an der Amortisierung.

Der Rasen grünte üppig, wie all die anderen floralen Geschöpfe, einzig die Gemüse-Geschichte wurde von uns nicht mehr so hartnäckig verfolgt. Muss wohl der Verdorrungsschock gewesen sein. Nächstes Jahr ist dieses Trauma bestimmt überwunden und dann fangen wir nochmal an.

Bis dahin trösten wir uns mit der Gewißheit, Gästen jederzeit einen Schluck selbst Geschöpftes anbieten zu können und ich, wenn ich denn mal Zeit hätte, würde gern so eine vollintergrierte, vollautomatische Gesamtgartenberegnungsanlage einbauen, also nur des Einbaus wegen.

Ich seh das schon vor meinem inneren Auge, wie ich, am Flughafen wartend, zu meinem Chef sage, warte mal, ich muss noch eben die Freilandtomaten gießen und dann mach ich WischZisch auf meinem Handy und die Gartenberegnungs-App sorgt für wildes Wasserspiel, während der Nachbar staunt und sagt: Zu teuer.


Demnächst in diesem Blog:

Tiefschürfende Veränderungen betreffen manchmal auch die Epidermis, oder: Als ich beim Terraforming fast ein Bein verlor.



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