Mittwoch, 5. Februar 2014
Olle Kamellen oder Aufgewärmtes schmeckt oft besser
Weisheit des Tages: Beim Radfahren gibt es auch Mitläufer.

Ansonsten, aufgrund fehlenden Interesses, Deadmenstown im Director`s Cut.
R.I.P. Seymour!

Deadmanstown II

“Das Leben ist wie eine kaputte Festplatte. Entweder bootet gar nichts, oder das Ding dreht sich tot, ohne wirklich was zu bewegen. Meinst du es wird sich irgendwann was ändern?“

„Wenn du willst“, antworte ich JJ und puste blauen Qualm in grauen Himmel. Wolken, fett wie Maden, hängen tief über der Stadt und man glaubt, sie anfassen zu können.

Hier oben auf den Dächern unseres manifestierten Seins, betongrau, verhärtet und kalt, wo jeder seinen Alptraum lebt, wo es keinen Tag, keine Nacht gib, wo alles in Bewegung aber kein Fortschritt ist, wo sie dir vom Aufschwung erzählen, ohne ihn anzustoßen, und so die Trägheit der Masse nie überwunden wird, fühl ich mir frei.

Ich kann die Sonne sehen, manchmal, wenn es nicht regnet und dort drüben im Antennenwald, geziert von Satellitenpilzen, scheinen schmutzigbraune Spatzen uns auszulachen.

„Aber es muss doch mal was passieren.“

„Das Leben passiert nicht. Du musst es anschubsen.“

Und während ich dies sage, weiß ich, dass es nur die halbe Wahrheit ist. Du kannst sie treten und schubsen, das träge Leben und müde Glück, es gibt keine Garantien das sie dich erkennen, dass sie sich dir zuwenden.

„Was meinst du was mal aus uns wird?“, fragt JJ und schaut dabei bäuchlings über den Rand des Daches.

„Wenn du dich weiter rüberbeugst, wirst du ne Nummer auf dem Zentralfriedhof.“

„Nee, ich meine es ernst. Meinst du es wird sich irgendwann was ändern?“

Ich habe darauf keine Antwort, weiß es nicht und so bleibt es still zwischen uns. Ich zünde mir noch eine Zigarette an und lausche dem Geplärr im Treppenhaus. Maggas Hund kläfft wie blöd und die Kuhlers streiten sich, alles in bester Ordnung, alles wie immer und da ist nichts, was sich mal ändern würde. Nicht auf Sicht.

Ich denke an Zipp, die unter mir wohnte, denk an die Blicke die wir tauschten, an das Lächeln, das sie mir schenkte und die Nacht, die wir uns gaben. `Ich liebe deinen Schwanz` sagte sie. `Lass es uns miteinander versuchen` antwortete ich damals, doch sie meinte, sie kenne da jemanden, einen, der sie hier rausholen könnte. Ich müsse das verstehen, es muss sich doch mal was ändern, es muss doch mal was passieren. `Und liebst du ihn auch?` fragte ich. `Das ist doch unwichtig.´…

Der Klang einer Dreiklangfanfare reisst mich aus den Gedanken.

„Murat ist da. Man schau dir dieser Karre an.“

JJ hing bedenklich weit über dem Rand des Daches. Ich gehe zu ihm rüber und tatsächlich, Murat hatte ein neues Auto.
Kein Wunder, er ist der einzige von uns der einen Job hat. Sein Vater hat einen Autohandel, Im- und Export grinst er immer, mit angeschlossener Werkstatt. Er bescheisst seine Kunden. Baut funktionierende Teile aus, sagt die waren kaputt und baut sie als Neuteile bei anderen wieder ein.

„Hey, ihr Knallköppe, kommt runter, wir drehen eine Runde“, ruft er uns zu, winkt und lacht sein Ganovenlachen.

Unten angekommen sieht das Auto nicht mehr so doll aus. Ein alter Mustang, rostig und verhunzt. Der Lack ist durch, der Unterboden auch, wie Murat gesteht, aber es wäre ein gutes Geschäft gewesen. Er kramt umständlich in seiner Jacke und zieht eine Walther PPK heraus.

„Mann, cool, Alter. Den Mustang plus die Knarre?“ JJ ist aufgeregt.

„Right. Und noch 6 Schuss Munition.“

„Was willst du damit?“, frage ich.

„Haben. Ist besser als bekommen.“ Murat grinst.

„Wenn du so ein Ding hast, ist die Gefahr gross, dass du es auch benutzt.“

„Dafür sind die Dinger da“, antwortet Murat, fasst sich zwischen die Beine, schüttelt sein Gemächt und lacht laut los. Ich kann nicht anders; er sieht albern aus. Ich lache mit.

Zehn Minuten später blubbern wir durch die Stadt. Wir durchfahren Strassenschluchten, die selten nur von der Sonne gegrüßt werden. Es liegen Müllsäcke rum. Einige sind aufgeplatzt, ihr Inhalt quillt heraus wie die Gedärme frischen Schlachtviehs. Es stinkt erbärmlich.

„Sechs Liter Maschine, damit kannst du pflügen“, erzählt Murat unbekümmert von all dem Scheiss um uns herum.

Vielleicht muss man so leben. Weniger denken, mehr reden noch mehr tun. Einfach drauf los. Drüberfahren. Fertig. Einfach alles überfahren.

„Du kannst gar nicht pflügen“, antwortet JJ versonnen auf die Walther schauend. Er wirkt entrückt.

„Legst du dich gerade mit mir an?“

„Nee, ich stelle nur fest: du kannst nicht pflügen, weil du keinen Acker hast.“

„Stimmt, aber wenn ich einen hätte, dann könnte ich. Darum geht es: Können, wenn man will. Und du kleiner Pisser, willst viel und kannst nichts.“

„Aber ich kann immer. Es hat sich noch keine beklagt.“ JJ grinst das Siegergrinsen, breit und strahlend.

„Wo kein Kläger, da keine Klage.“

Murat sagt es einfach so daher. Dann war Stille.

Wir gleiten weiter durch die Strassen der Hoffnungslosen, Deadmanstown, Friedhof der Träume, wo wir eigentlich schon alle tot sind und nur auf die Beerdigung warten.

Letzte Woche ist Floh gestorben. Überdosis. Shit happens, er war ein feiner Kerl, aber wir vermissen ihn nicht. Warum auch? Er hat es hinter sich. Wir betranken uns zu seinem Gedenken, wie wir es immer tun und diesmal eben mit Anlass.

„Fuck. Die Scheisskarre frisst ne Menge Sprit. Wir sollten tanken.“ Murat wirkt sauer.

„Was ist das Problem. Lass uns zu Trixie. Da kriegste den Sprit umsonst.“

„Mal sehen ob wir es bis dahin schaffen. Wenn nicht lassen wir den Schrotthaufen hier stehen und klauen ein Auto.“ JJ grinst und meint es ernst.

Trixie sieht aus wie sie immer aussieht. Klein, pummelig mit Brille und roten Haaren. Wir hatten sie alle schon, sie ist da nicht so. Trixie ist nicht die Hübscheste, aber manchmal hilft es einfach, jemanden an seiner Seit zu wissen, wenn die Nächte kalt und lang sind.

“Hi Jungs. Ihr wollt sicherlich tanken? Wartet bis ich die Säule auf Null gestellt habe.“ Sie sagt es wie sie es immer sagt, schaut uns dabei gar nicht an, sondern kaut weiter stoisch ihren Kaugummi und blättert gelangweilt in einer Zeitung. Murat geht wieder raus, JJ zum Kühlregal und holt sich ein Bier.

“Oh Fuck!“ Es war Trixie und sie klingt ernsthaft besorgt.

“Was ist los?“, will ich wissen.

“Mein Chef ist im Anmarsch. Jetzt gibt es Ärger.“ Sie hatte es kaum ausgesprochen, da steht ein kleiner untersetzter Herr im Shop.

„DU KLEINE SCHLAMPE! ICH HABE GEWUSST DAS DU MICH BESCHEISST. VON WEGEN LECKAGE! WIEVIELE VON DEINEN PENNERFREUNDEN HAST DU AUF MEINE KOSTEN TANKEN LASSEN?“ Er schreit wie blöd und Trixie wirkt auf einmal ziemlich klein. Sie beginnt den Versuch einer Erklärung, als JJ die Knarre zieht und auf den rundlichen Herren richtet.

“Du Wichser entschuldigst dich jetzt bei der Dame.“

“Mann, JJ! Pack die Scheissknarre weg. Der will doch nur Dampf ablassen. Wir nehmen Trixie mit und verpissen uns.“

Ich drehe mich dabei zu ihm, verdecke für eine Sekunde JJ´s Sicht und wir beide sind sehr überrascht, als der Fettsack auch ne Waffe in der Hand hat. So nen stubsnäsigen Revolver.

“Und was machst du jetzt, du Punk?! Zwing mich nicht abzudrücken.“ Der dicke Mann zittert als er das sagt.

“Ich ziele dir genau zwischen die Ohren Opa. Bevor du blinzelst bist du schon tot.“ JJ ist eiskalt. Mein Puls rast, aber JJ ist die Ruhe selbst.

Ich mache einen Schritt auf JJ zu, versuch seine Waffe runter zu drücken, als sich ein Schuss löst. Erschrocken dreh ich mich um. Ich will sehen, ob der Opa getroffen wurde, aber stattdessen sehe ich das Mündungsfeuer des Revolvers, höre einen Schuss und werde gebissen. Alles gleichzeitig in einer Millisekunde. Dann ist es still.

Warme Flüssigkeit läuft meinen Bauch herunter und ich merke, dass das Gefühl aus den Beinen schwindet. Ich höre JJ schreien, nur gedämpft, aber ich weiß, dass er schreit. Ich kenne ihn mein ganzes Leben lang. Während ich das alles wahrnehme, wird das Regal neben mir von etwas nach oben gezogen. Links, Rechts, alles fliegt nach oben, JJ auch und plötzlich bleibt alles stehen; dumpfer Schmerz im Kopf. Ich merke ihn wie auf Pott.

Der Schmerz ist da, aber er fühlt sich nach nichts an. Direkt vor mir sehe ich JJ`s Schuhe. Etwas zieht an mir, dreht mich ins Licht. Ich sehe ein riesiges Auge vor mir. Trixie. Ja, die Augen sind grün und braun gefleckt. Es ist Trixie, ich kenne diese Augen. Sie ist ganz dicht über mir, sie sagt etwas, aber ich kann sie nicht hören. Stattdessen höre ich meine Mutter wie sie meint: Mit dir wird es ein schlimmes Ende nehmen. JA MAMA, will ich schreien, aber ich bleib stumm. Ich will zu ihr, will mit ihr reden, ich will jetzt ihr Kind sein. Ich sehe mich, wie ich aus dem Geburtskanal komme. Blutig kam ich, blutig geh ich. So schließt sich der Kreis, this is how it ends.

Ich höre Musik. Ich höre Lachen und Weinen, ich sehe mich und JJ, als wir auf den Bäumen kletterten. Da ist Sonne und dort kommt Dunkelheit. Sie frisst sich in mein Sichtfeld. Links, rechts, oben, unten. Sie soll weggehen. Geh weg! Doch sie kommt von überall her. Langsam, aber sie kommt. Es wird dunkler, immer dunkler. Geh doch bitte weg! Ich beginne zu wimmern. Alles zerfließt in Schwarz. Bis auf einen winzig kleinen Lichtpunkt direkt in der Mitte. Ich schaff das! Hoffnung. Ich gebe nicht auf! Ich kämpfe! Und dann holt sie mich doch. Finsternis.


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Woah!

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Meinen Sie Woah! wie Woah? Oder eher wie Woah! ?

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