Montag, 4. Dezember 2006
Flughafen-Omma & such a poor life
Pure Hektik heute. Ich beginne mich müde zu fühlen. Kein Wunder. Das Wetter spinnt, Mai im Dezember und Regen. Fi und ich springen von Termin zu Termin. Zeitungsfuzzis in da house. Ich glaube ich habe noch nie eine so schlechte Präsentation gesehen. Ein bisschen bloggen, das Treffen vorbereiten, rein in die Tube, Innercity London, neuer business district, wieder Regen. VIP Kunde Nr.2 weiß sich zu präsentieren und mich zu beeindrucken. Tolles meeting, drei unterschiedliche Einkäufer, nacheinander, drei unterschiedliche Gespräche. Und wieder raus, hat länger gedauert als erwartet.



Im Vorbeigehen erhasche ich die headline of the day. Eine Million Shopper waren am Wochenende nur in der Oxfordstreet unterwegs. Aha. Deswegen sind die Morphine und ich in Stau geraten. Unglaublich. Fussgängerstau in der Tube. Und trotzdem liebe ich diese Stadt, ihre quirliges Durcheinander, den schnellen Takt. Nur meine Batterien laufen gerade leer. Zu viele Gesichter, zu viele Gespräche und zu viele Entscheidungen. Die Stadt ist weihnachtlich geschmückt, alle sind im Kaufrausch und bei mir stellt sich so richtig gar nicht ein Weihnachtsfeeling ein.

Der Kopf ist voll mit anderen Dingen. Wichtigere? Keine Ahnung, aber eben solche, die mein Tun gerade bestimmen. Muss also wichtig sein. Dennoch, ich beklage mich nicht, denn es ist das was ich will. Ich kann mir sehr gut vorstellen hier zu wohnen. Highgate hat mir ausgesprochen gut gefallen. Man wird ja noch träumen dürfen. Außerdem schreibt man nicht über den Job. Man macht ihn. Daher jetzt ein ganz anderes Anekdötchen, eines von denen, die ich so liebe, denn solche sind mein Leben:
Am Freitag letzter Woche habe ich gewartet und zwar auf die Herzkönigin. Das passiert öfters, nur diesmal konnte sie nichts dafür. Sie hat sich bestimmt schnell bewegt im Flugzeug, dieses aber nicht, womit bewiesen wäre, dass ich auch schon mal was von Alberts Theorie gehört habe. Alles ist relativ. Ich stehe da also draußen, rauche eine, ja ja nennen Sie mich schwach, aber warten Sie mal 2 Stunden auf dem langweiligsten Flughafen der Welt ohne ihren Laptop. Also. Ich steh da nun in meinem Hitman-Outfit wie Fi es nannte und da traf ich eine Omma. Nee James. Treffen geht nicht, denn du kanntest sie ja gar nicht. Jeder würde glauben, du wärst mit ihr verabredet gewesen. Steine können vielleicht Autos treffen und wenn das verabredet ist, nennt man es Versicherungsbetrug. Vielleicht bin ich ihr begegnet? Nee. Ich stand da ja nur. Begegnet hört sich so dynamisch an. Oh ihr Germanisten helfet dem, der da gerade nicht weiter weiß und gießet Wissen über sein Haupt, dass Weisheit ihn durch dunkle Stunde der Unkreativität leiten möchte. Nee! Spart euch das. Wenn es nicht weiter geht hilft nur eins: Die Flucht nach vorn und einen anderen Weg suchen:
Ich stand da nun und da kommt so eine Omma auf mich zu getippelt. Ich sehe zuerst ihren viel zu großen Koffer, ihren Pelzmantel und diese unglaublich gute Frisur, aber nicht in der Reihenfolge. Sie sah gut aus. Sehr gut sogar. Omma fängt an in ihrer Tasche zu kramen und ich sehe, dass sie schon ne Zigarette im Mund hat. Ob man es glaubt oder nicht, ich bin ja ein ganz ein Netter und so fragte ich sie auf Englisch, ob sie Feuer braucht. Ja, antwortete sie, sie könne ihres gerade nicht finden. Der Akzent war unverkennbar, musste was Skandinavisches sein. Ich fragte höflich nach und siehe da, Ommi kam aus Dänemark. Hab ich mir gedacht, denn es war unüberhörbar. Kommst du auch aus Dänemark, wollte sie wissen. Nee. Aus Stockholm. Bist du Schwede, fragte sie ungläubig nach. Nee. Deutscher, aber ich wohne schon ne Weil in Schweden. Ich dachte du wärest Italiener. Dam it, Scheiss-Outfit! Sprichst du auch Schwedisch? Klar. Und dann ging die Konversation auf Schwedisch weiter, denn Ommi meinte ihr Englisch wäre so schlecht. Nee, überhaupt nicht, ich bin ja sehr davon beeindruckt, dass du es so gut kannst, sagte ich zu ihr. Ja weißt du, seit mein Mann vor 5 Jahren starb, reise ich viel. Man kann das Geld ja nicht mitnehmen und es ist eine Schande, dass mein Mann nichts davon hat. Wir haben so hart dafür gearbeitet. Stimmt, gab ich ihr Recht und dachte dabei an meine Tante Hanchen, die hat es genauso gehandhabt. Es war ein langer Weg für sie, vom Serviermädchen im Offizierslokal der Tommys bis zur Besitzerin von 8 Edeka-Märkten. Alles zusammen mit meinem Onkel Willi und dann, als sie sich entschieden in Rente zu gehen, stirbt der einfach. Hanchen hat ihm das nie verziehen, sie meinte immer, der überlebte den Krieg, der überlebte das Leben mit mir und endlich, wo wir anfangen wollen unseren Verdienst zu genießen, stirbt der einfach. Sie begann dann zu rauchen und verprasste die ganze Kohle mit Reisen. Die lieben Verwandten sagten, sie wäre verrückt. Warum? Ihre Kohle, kann sie doch machen was sie will, ich hätte es genauso getan. Zurück zu meiner Flughafen-Omma.
Wir reden so dies und das und Omma erzählt mir, dass es nun das fünfte Jahr in Folge wäre, dass sie zu diesem Konzert hier in London führe. Ob ich denn wisse, wie sie nach Waterloo kommt. Na, da lass ich mich ja nicht Bitten und kramte meine Tubmap vor, zeige ihr den schnellsten Weg und Omma meinte, den könne sie nicht nehmen. Oha. Warum nicht? Na weil der unterirdisch ist. Da hätte sie Angst. Gibt es denn keinen Bus? Keine Ahnung. Aber weisste was, da drüben steht MR. Policeman. Den werden wir fragen. Ja, mach aber du das, ich versteh die nie. Logo. Wir also durch den Regen zum Officer und der erklärte ihr denselben Weg wie ich es tat, ich übersetzte artig und Omma schüttelte die ganze Zeit mit dem Kopf. Will se nicht, sagte ich zum Polizisten. Jut, sachte der, ich habe ne andere Idee. Just follow me. Rein ins Gebäude, hin zum Infodesk, dabei eiskalt vorgedrängelt, denn hier kommt die Staatsautorität und ne Omma; niemand moserte. Der Mann da war sehr nett, baute so tausend Varianten zusammen und ich rechnete die Zeit im Kopf mit, sagte, das dauert garantiert 2 Stunden. Der Officer stimmte mir zu, wenn nicht sogar mehr, denn wir haben einen fucking traffic jam. Stimmt. Fi und ich standen auch nur im Stau. Also habe ich der Omma das alles erklärt und auf sie eingeredet, dass sie die Bahn nehmen soll. Wollte sie dann auch, wenn ich ihr zeigen würde wo sie die Karte bekommt. Siehste, geht doch. Ich bedankte mich beim Polizisten, der schnickert sich die ganze Zeit eins, wünscht mir viel Glück und ich hatte das Gefühl, der glaubte das wäre meine Oma. Na, ich sagte zu Oma, weisste, bevor ich dir den Weg erkläre komm ich lieber mit, die Kartenautomaten können tricky sein. Da freute se sich, ich nahm ihren Koffer und dann sind wir los zum Bahnsteig. Der Automat war auch tricky, keine Kreditkarte möglich, aber Omma sagte, sie hätte eh keine, weil zu gefährlich, aber mit nem dicken Bündel von Scheinen rumlaufen. Die Karte haben wir bekommen, ich brachte Omma noch zum Bahnsteig, denn ich habe nicht gesehen, wie sie diesen Koffer allein in den Wagen wuchten wollte. Die Bahn fuhr ein, der Koffer war schnell drin und ich bekam eine lange Umarmung, Ommi hat vielleicht gut gerochen. Sie kniff mir in die Wange, sagte, wenn se jünger wäre würde sie mich direkt mitnehmen und ich schmunzelte grenzdebil. Wie alt bist de denn eigentlich, wollte ich von ihr wissen. 75 sagte sie da. Unglaublich. Wirklich unglaublich wenn ich da an meine Mutter denke. Ich nahm sie noch mal in den Arm, denn sie hat all meinen Respekt, ich liebe solche Leute, ich wünschte ihr viel Glück, dann war se weg und ich hatte nur noch eine Stunde zu warten. Tolle Sache das. Schönes Anekdötchen will ich meinen und ich freue mich jedes Mal, wenn so etwas passiert, denn es zeigt mir, dass ich so falsch nicht liege; mit allem so. Und morgen kommt dann VIP Kunde Nr. 3 und nun erstmal das Essen, denn das habe ich auch schon wieder vergessen. Such a poor life.


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wundervolle geschichte herr gentleman.

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