Samstag, 14. April 2007
Nachtangeln
cabman, 02:34h
Es schien als würde dem See ein Stück seiner Silbrigkeit entnommen, als JJ die Angelrute anriss und ein kleiner Fisch spritzend, dicht über der Wasseroberfläche sich im Todeskampf wand und zappelte. Seine Schuppen schimmerten im Licht der untergehenden Sonne strahlend hell. Bei dieser Entfernung war kein Unterschied zur Oberfläche des Sees auszumachen, auf der sich leicht kräuselnde Wellen bewegten – beides blinkte silbern.
Behänd und routiniert holte JJ die Leine ein. Das Geräusch, welches die Kurbel dabei verursachte, war mir vertraut. Schnell wurde der Fisch angelandet und Kinder, die eben noch selber ihr Anglerglück probierten, kamen schnatternd herbei, um die arme Kreatur zu begutachten. Da lag sie nun auf dem Steg und alle paar Sekunden bog sich ihr Körper, ließ die Schwanzflosse auf rissiges Holz klatschen; die Kiemen öffneten und schlossen sich wild, starr blickte das Auge irgendwohin, während sich jappend das Ende näherte. Wind kam auf und ließ die Bäume des Ufers tuscheln. Mir fröstelte.
JJ beendete das Leiden des Fisches, indem er ihn mit einem fachmännischen Schlag auf den Kopf betäubte und dann den tödlichen Stich mit dem Messer setzte.
„Das ist ne Karausche“, fingen die Kinder an zu fachsimpeln.
„Ne, das ist ne Plötze“, meinte ein anderer Jungangler.
JJ schien die Kinder zu ignorieren, nuschelte aber dann, mehr zu sich selbst: „Das ist einzig und allein Katzenfutter. Iss zu klein für die Pfanne und nun trollt euch.“
Die Kinder zogen murrend ab, während JJ mit gekonnten Griffen und der Hakenzange den Angelhaken im Maul des Fisches löste. Er richtete sich auf und hielt mir den Fisch hin:
„Da. Nimm ihn und bring ihn deiner Mutter. Sie wird sich freuen, für morgen das Katzfutter zu sparen.“ Ich nahm den Fisch an der Schwanzflosse, JJ´s Worte als Abschied und machte mich auf den Weg nach Hause.
Das Haus war hell erleuchtet, was nur eines bedeuten konnte. Meine Vermutung wurde bestätigt, als ich Mutter in der Küche traf. Sie war angetrunken, wie sie es immer war, wenn sie einen ihrer Gäste erwartete. Sie empfing oft Gäste, immer Herren und immer hatte sie etwas getrunken. Sie setzte dann diese gespielte Fröhlichkeit auf und es schien als hätte sie, hätten wir, keine Sorgen. Doch die hatten wir. Reichlich sogar.
„JJ hat diesen Fisch gefangen und meint, er wäre gut als Katzenfutter.“ Sagte ich zu ihr und hielt den Fisch hoch ins Licht.
„Na Hauptsache der Kater frisst bessere Sachen als wir es tun“, antwortete sie in sarkastischem Ton.
„Wäre er größer gewesen, hätten wir ihn essen können. Aber JJ hatte heute kein Glück. Morgen vielleicht wieder.“
„Morgen ist ein schlechter Freund, lass dir das gesagt sein. Vertraue nicht auf das Morgen, denn es ist eine Utopie zu glauben, es würde sich morgen etwas ändern, wenn du es nicht heute veranlasst. Nimm den Fisch - heute gefangen, wird er morgen dem Kater schmecken. Verstehst du, was ich meine?“
„Ja, Mutter.“
Sie goss sich einen Sherry nach, damit war unsere Unterhaltung beendet. Ich legte den Fisch, so wie er war, in den leeren Kühlschrank und verließ das Haus.
Das Licht der Sterne reichte nicht aus, meine Gedanken zu erhellen. Trist bildeten diese einen Strom der Düsternis, aus dem es kein Entrinnen gab. Ich schien in ihm zu versinken, zäher, klebriger Brei. Es gab zu viele Gedanken, keiner war griffig, alle führten ins Nichts. Wie trostlos und wie traurig sind doch unsere armseligen Existenzen, wie wenig wert all unser Bestreben. Nur wenn es dir von Geburt an zuerkannt ist, wirst du die höchsten Höhen erklimmen, die tiefsten Tiefen erreichen. Wir anderen, wir bleiben kleine Fische, immer in der Angst lebend, nach dem falschen Bissen zu schnappen, einem Köder aufzusitzen, nach Luft ringend zappeln.
Mutter zappelte seit Vaters Tod. Sie tat dies nicht für sich, sondern vorwiegend für mich. Prinzipiell bin es auch ich, der sie so zappeln lässt. Prinzipiell bin ich der Haken an der Sache. Gäbe es mich nicht, wäre es für Mutter leichter. Das Geld würde reichen, sie hätte weniger Sorgen und mehr Zeit für sich. Wenn ich es morgen geändert haben will, muss ich es heute veranlassen, wenigstens Futter für den Kater. Irgendwo im Schuppen gab es dieses feste Seil…
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frau stella,
Samstag, 14. April 2007, 11:42
Was für ein Bürden manchen Menschen von klein an auferlegt werden... viel zu groß die Last auf ihren Schultern
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c17h19no3,
Samstag, 14. April 2007, 21:43
offenes ende - mord oder selbstmord? oder nur die wäschleine spannen für den nächsten tag?
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ericpp,
Sonntag, 15. April 2007, 02:03
Ich hoff doch, das feste Seit ist nur für den richtig großen Fisch.
schöne Geschichte, irgendwie - also gut geschrieben, mein ich :o)
schöne Geschichte, irgendwie - also gut geschrieben, mein ich :o)
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cabman,
Sonntag, 15. April 2007, 02:43
Vielen Dank mein lieber ericpp.
Und was mit dem festen Seil gemacht wird, darf sich jeder selber denken.
Und was mit dem festen Seil gemacht wird, darf sich jeder selber denken.
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