Montag, 24. September 2007
Farben und Leere
Statt dem Glauben abzuschwören, es gäbe die Perfektion, die Vollkommenheit, halten wir uns für Versager und zerbrechen letztendlich an Regeln und Vorstellungen, die andere aufgebaut haben und sich Realität oder Erwartung, oder Liebe, oder Wunsch, oder Wille nennen.
„Wie heißt die Farbe des Lichtes da?“, frage ich sie und weise auf eine Ampel, die Grün anzeigt.
„Grün“ antwortet sie unsicher und ich sehe dies Fragezeichen über ihrem Kopf.
„Und warum?“
„Was warum?“
„Warum nennen wir es grün?“
„Weil es grün ist?
„Woher weißt du das?“
„Na,…“. Sie lacht kurz. „Ich weiß worauf du hinaus willst.“
„Siehste“, sage ich „es ist nicht schwer, oder?“
Doch. Doch es ist schwer. Und es wird, je mehr wir wissen und sehen, immer schwerer, besonders für solche, die wagen zu fragen.
„Weißt du“, und ihr Blick verliert sich nach irgendwohin, sie schaut mich nicht an, „weißt du, ich frage mich oft, was der Sinn von all diesem Kram ist. Was soll das alles? Was ist der Sinn dieses Lebens? Warum gibt es uns? Erst neulich ertappte ich mich dabei, mir vorzustellen, einfach zu springen. Ein Ende machen. Jetzt. Es war irgendwie beruhigend.“
Ich war schockiert. Ich bin es noch immer. Eine bildhübsche junge Frau, stark, beruflich erfolgreich und doch in Unsicherheit oder Orientierungslosigkeit gefangen.
„Der Sinn“, so sinniere ich laut, „ist wohl, zu wachsen, lernen, besser zu werden, in allem was wir tun.“
„Ja, aber das würde bedeuten, dass wir es unendlich tun. Es gibt kein Ziel und damit macht es schon wieder keinen Sinn.“
„Wenn du dem Ganzen eine Zeitachse zuordnest, dann erhält es Sinn und wird eine Lebensaufgabe. Milestones nennen wir es im Job, Ablaufplanung, du kennst es doch selbst, du tust es für jedes Projekt, also tue es auch für dein Leben.“
„Aber in Projekten gibt es einen definierten Anfang und eine klare Absicht.“
„Die Absicht legst du für dich in deinem Leben ganz allein fest. Darin liegt viel Freiheit und viel Verantwortung. Und auch der Anfang ist leicht gefunden. Jetzt. Heute, hier, in dieser Minute, hast du die Startlinie passiert.“
„So einfach ist es aber nicht. Ich wollte immer dieses Studium und nach meinem Studium wollte ich immer diesen Job. Beides habe ich; nach beidem zu streben, gab mir Sicherheit und nun? Nun ist es, als würde ich losgelöst von allem treiben, haltlos, ziellos und ich mache Nächte zu Tagen, tanze und trinke, weine und verzweifle an dem, was sich mein Leben nennt. Ich bin unglücklich in meiner WG, den Job will ich auch gerade nicht. Ich will was anderes, nur was, dass weiß ich nicht. Alles scheint so chaotisch.“
Sie sagt dies ganz ruhig, schaut rüber zum Containerterminal und es scheint, als spräche sie zu der Welt, da drüben, nicht zu mir. Ich zünde eine Zigarette an, blase blauen Qualm in blassblauen Himmel, blicke in die andere Richtung. Da hinten, da liegt Bergedorf, dann kommt nichts, dann Berlin, danach Polen und noch ein Stück dahinter geht die Sonne auf, aber nicht für jeden von uns.
„Chaos beruht auf Verzerrung und tröstlich ist, dass es immer nach einem Ausgleich strebt, alles strebt gen Null. Nichts ist so verwirrend, als dass es sich nicht selber auflöst. Fraglich, ob wir mit dieser Lösung dann leben wollen, ganz bestimmt, aber sicher ist, es wird eine geben.“ So spreche ich, vielleicht eher zu mir als zu ihr, doch ich beziehe daraus Trost, nichts was ich studierte, nur Lebenserfahrung, meine persönliche, ganz ohne kluge Worte.
„Ich weiß nicht, ob ich verstehe was du meinst.“
„Na, nimm einen Becher voll Joghurt, kleckse ein wenig Marmelade rein und du hast zwei Komponenten rot und weiß. Wenn nichts weiter passiert, wird es ewig so bleiben. Aber nimmst du einen Löffel, beginnst darin zu rühren, dann vermischen sich diese beiden Komponenten. Dies geschieht für unser Auge willkürlich, aber ich bin sicher, dass ist nur unsere Wahrnehmung, es gibt bestimmt ein Gesetz, wir kennen es noch nicht. Je länger du rührst, desto mehr vermischen sich die Farben, solange, bis eine gleichmäßige Verteilung der Komponenten gegeben ist und du hast eine völlig neue Zusammensetzung. Und alles nur, weil du zu zwei Ausgangstoffen Energie zugefügt hast. Wenn das nicht Magie ist?“
„Ich glaube ich verstehe. Du meinst, wenn es einen chaotischen Zug annimmt, muss ich nur rühren?“
„Ja, ich denke, man könnte es so sagen. Energie aufbringen und das Chaos wegrühren, die Energie bist du.“
„Es scheint mir zu einfach. Es dürfte bei dieser Betrachtung keine Probleme für mich oder dich geben.“
„Oh doch. In welche Richtung wirst du rühren, wie viel Kraft wirst du aufbringen und welchen Löffel benutzen? Du siehst, es gibt noch genügend Parameter, die es zu berücksichtigen gilt. Und was, wenn dir der Löffel abbricht?“
„Du machst alles kaputt“, sagt sie und dreht sich dabei zu mir. „Eben noch dachte ich, es wäre ein guter Gedankenansatz, aber nun, nun macht es mir angst.“
„Warum?“
„Weil es keine Lösung ist.“
„Die Frage nach der Lösung ist nicht von Relevanz, die nach Zielen schon. Es gibt unterschiedliche Wege diese zu erreichen und was für mich richtig ist, muss noch lange nicht für dich richtig sein. Wenn es besiegelt ist, dann können wir von Lösungen sprechen.“
Sie schaut mich an, nimmt mir die Zigarette aus der Hand und zieht daran. Als sie den Rauch ausbläst, legt sie den Kopf in den Nacken. Mir fröstelt.
„Aber“, beginnt sie nach langem Überlegen und schaut mich wieder an. „Aber ich kann diesen Prozess nicht beeinflussen. Ich lebe mit den Komponenten, bin begrenzt und es läuft darauf hinaus, dass ich vielleicht Rosa bekomme, wo ich doch Braun wollte.“ Sie gibt mir die Zigarette wieder.
„Sag ich ja. Da hast du auch den Sinn deines Lebens. Lerne, welche Farben du mischen musst, um Braun zu bekommen. Es setzt allerdings voraus, dass du weißt, dass du Braun haben willst. Es steht und fällt mit einem Ziel. Deinem Ziel.“
„Womit wir wieder beim Anfang wären.“ Sie wirkt erschöpft, ausgelaugt.
„Die Frage ist doch recht einfach“, sage ich und knöpfe das Sakko zu.
„Wo willst du in 5, 10, oder 15 Jahren stehen?“
„Ich weiß es nicht.“ Niedergeschlagen kommt es rüber, resignierend.
„Aber es muss doch etwas geben, was du gern hättest? Oder hast du dir noch nie darüber Gedanken gemacht?“
„Mhm.“ Sie dreht sich wieder von mir weg, schaut auf das Wasser und für kurze Minuten lauschen wir den Arbeitsgeräuschen drüben im Terminal. Gesprächsfetzen wehen herüber und plötzlich sagt sie: „Ich hätte gern einen Mann. Ich wäre gern verheiratet und ich möchte ein Kind. Wenn ich so drüber nachdenke, ist es eigentlich das Einzige, was ich wirklich möchte.“
„Prima. Du hast es definiert und es wird kommen.“
„Und nun?“ Sie dreht sich zu mir.
„Nichts. Den Rest wirst du erledigen, ohne dass du es merkst.“
„Aber was, wenn der Mann nicht der richtige Mann ist, wenn das Kind behindert ist, wenn …es gibt zu viele wenn!“
„Dann musst du wieder rühren, für eine neue Farbe. Welche das sein wird, kannst du heute nicht wissen, aber in der Situation wirst du es. Ein neues Ziel. So, denke ich, läuft das Leben.“
Sie schaut mich skeptisch an, steht ganz ruhig.
„Dir ist kalt?“ fragt sie.
„Ja, sehr sogar.“
„Lust auf einen Kaffee?“
„Why not?“
„Weißt du James, wo bis du eigentlich die letzten 5 Jahre gewesen?“
„Das weißt du doch.“
„Ja, aber ich meine, warum haben wir nie so gesprochen?“
„Keine Zeit?“
„Oder kein Gedanken an den anderen?“
„Bestimmt auch, um ehrlich zu sein. Konnte ich dir helfen?“
„Ich weiß nicht, ob ich dieses Denkmodell annehmen kann. Ich muss mehr darüber nachdenken. Aber mit Sicherheit kann ich sagen, dass es mir gut tut, mich mit dir zu unterhalten. Du machst das gut und das, wo du manchmal ein so verdammt arroganter Sack bist.“ Sie lacht.
„Ich weiß. Gehen wir?“ bibbere ich.
„Ja.“ Und sie lacht noch immer


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