Freitag, 24. Dezember 2021
Fractured moments N°11

Neuer Tag, dieser startet in Sacramento. Er ist jung, ich bin es nicht, nur müde. Schlafbefreit laufe ich ums Hotel. Angenehm ruhig ist es, kein Verkehr, ein bisschen diesig, ach ja, es ist ja Wochenende.

Herr A. schlägt vor, dass wir deswegen etwas kürzertreten und die Zeit nutzen sollten, das Nappa Valley anzusehen. Davor will er aber unbedingt zu einem Hotspot der amerikanischen Frühstückskunst.

Wir landen dann in einer Art überfülltem Gartenbaucenter mit angehängtem Restaurantbetrieb. Angeblich soll es das beste Frühstück in der ganzen Gegend dort und nur dort geben. Ich werde nicht herausfinden ob dem so ist. Die Herkunft der zahlenmäßig übermäßig mäßig schönen feilgebotenen Springbrunnen schon. Made in China, assembled in California, ganz wie bei Apple.

Gefragt, ob wir reserviert hätten, antworten wir: natürlich nicht. Oh, das ist schlecht. Wegen Corona. Ihr wisst schon. Klar. Herr A. ist sichtlich zerknirscht. Essen scheint ihm wichtig. Immer muss es besonders toll sein. Also erstmal nix mit Frühstück. Herr. A will warten. Weil es wirklich super ist, das Frühstück.

So nutzen wir die zwischenzeitliche Gelegenheit ganz unterschiedlich. Ich schaue mir den wirklichkeitsfernen, feel-good Kommerzexzess kurzberockter, zahnpastareklamelächelnder, meisterhafter Ergebnisse plastischer Chirurgie an. Sie sind meist übergewichtig, was man auch für ihre numerische Ausprägung im Anwesenheitsverhältnis zu anderen Anwesenden schreiben kann.

Indem ich den Haupteingang des Gebäudes passiere, betrete ich den ersten Kreis der Vorweihnachtshölle. Menschen, die mich kennen, wissen wie schön ich derlei Veranstaltungen finde. Thematisch wie umgebungstechnisch.

Ich mach ein paar Bilder und schicke sie Cabwoman. Sie antwortet: Du Armer. Kennt mich halt.

Irgendwann frage ich höflich bei Herrn A. nach, wie lange wir denn noch warten wollen. Er sagt, ca. eine Stunde und fragt mich, ob ich es nicht toll finde, also das Gesamtarrangement. Mit all den Springbrunnen.

Das war der Moment, wo mir das Superfrühstück egal wurde und ich zu Herrn A. sagte, dass ich nun wirklich gern ein Stück die Straße runterfahren würde, wo ich auf dem Hinweg ein gewöhnliches Diner sah, und dort würde ich gern einen Kaffee trinken wollen.

Haben wir dann gemacht und endlich gab es auch mal frisches Obst. Das war eigentlich das Beste.

Das planerische Hochlicht des Tages war später Besichtigung eines sehr berühmten Weingutes, dessen Verwalter ein perfekt deutschsprechender Vietnamese ist. Das Weingut war mir eigentlich eal, der Wein auch, den Vietnamesen und seine Geschichte aber fand ich spannend und die Tatsache, dass er mit einer Deutschen verheiratet ist, allemal.

Wir standen nach der Tour rum und der nette Verwalter holte ein paar Flaschen eines besonderen Weines, um diese, in sprachlicher Verbundenheit mit seinen deutschen Gästen, uns zu kredenzen. Einfach so. War kein Programmpunkt.

Eine sonnengegerbte, personifizierte Zahnpastareklame wogte auf unsere Minigruppe zu und überfiel uns wortgewaltig mit all der amerikanischen oberflächlichen Freundlichkeit, die ich so überhaupt nicht ernst nehmen kann. Doch der Verwalte parierte dies erzwungene Kontaktaufnahme in meinen Augen sehr rüde mit abwehrender Handbewegung und einem: "It`s a private session," und huxflux©1 trollte sich die Dame zu einer Gruppe anderer Frauen, welche in sicherer Entfernung warteten.

Wahrscheinlich wirkte ich etwas konsterniert, denn der Verwalter schaut mir in die Augen, winkt ab und meint lapidar erklärend: "Wenn ich hier zu freundlich bin, werde ich die nie wieder los und dann kommt das eine zum anderen. Die haben alle zu viel Sex and the City geschaut und meinen, der kleine Chinese ist immer fröhlich und easy auszunutzen." Kann ich nachvollziehen, den Ärger, er ist ja Vietnamese.

Wir verabschiedeten uns dann artig und fuhren noch zu einer anderen Veranstaltung. Dort hatte jemand eine mittelalterliche Burg gebaut, was zum allgemeinen Erstaunen und großen Bohei bei allerlei jugendlichen Weinliebhabern und zukünftig zu Scheidende aber aktuell frisch Verheirateten führt. War völlig überrannt und ist eine feine Touristenabzocke.

Auf dem Rückweg fragt Herr A. wie uns die Burg gefallen hat.

Toll.

Genauso toll sollte später der Krabbencocktail werden, aber dieser Moment meiner Fassungslosigkeit bedürfte eines eigenen Eintrages. Und die Zeit hab ich nicht, wegen fröhliche Weihnachten, Euch allen.






























































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(1) huxflux© ist eine anwendungsrechtlich geschützte alternative Ausdrucksform, um die Hohe Endgeschwindigkeit eines Vorgangs, Gedanken oder Handelns deutlich zu machen, deren Nutzung einzig und ausschliesslich J.R. Cabman vorbehalten ist.

PS:

Hund im ersten Schnee. Irre. Der Hund auch.



PPS:

Für Herrn Kid, kleines Weihnachtsmitbringsel für die frequenzlose Rubrik Mit toten Tieren durchs Jahr. Bitte nur öffnen, wenn Sie´s vertragen, das tote Tier.

Geschenk, nur durch Kid37 zu öffnen



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Samstag, 18. Dezember 2021
Fractured moments N°10

San Francisco also.

Ein erstaunlich schöner Morgen. Tolles Bett, kein Faltgefühl im Rücken.

Ich stehe staunend am Fenster und schaue mir die sonnenbeschienene Bucht an.

Herr A. meint, wir sollten nicht im Hotel frühstücken, es wäre dort immer oll. Er empfiehlt ein Frühstücksrestaurant. Dort wird es später auch oll sein. Der gleiche Shit, nur in einem schöneren Ambiente.

Während ich in NY das Gefühl hatte, in einem Film zu sein, werde ich hier immer an Bilder von Edward Hopper erinnert. Den mag ich. Besonders für Night Hawks. Muss am Licht liegen. Das ist irre.

The sun may rise in the East at least it's settled in a final location

Wir reißen die Termine ab. Es bleibt keine Zeit für gar nix. Die Stadt verdient mehr Aufmerksamkeit, wir sind aber nicht zu touristischen Zwecken hier, werden nicht mal übernachten. Fahren weiter nach Sacramento.

"Herr A.", sag ich, "wenn ich schonmal hier bin, am Originalplatz von Mike Stone und Steve Heller, dann wünsche ich mir sehr, dass wir diese olle Brücke sehen und zumindest einmal über die Hügel ballern, du weißt schon, wie in den Verfolgungsszenen. Und wenn dann noch Zeit ist, muss ich unbedingt meine Füße in den Pazifik halten."

Und das nur wegen:
"Der Strand war voller Leute, und die Sonne brannte hell, doch der Wind in seinem Rücken war kühl, und als er in dem nassen Sand stand und zum erstenmal die Berührung des Pazifischen Ozeans an den Füßen spürte, so daß ihm Kälteschauer die Beine hinaufliefen, begann er zu verstehen, ..." *
Stammt aus meiner persönlichen Top 10 all time high Rangliste der weltbesten Bücher, die unverständlicherweise noch nicht verfilmt wurden. Kann ich sehr empfehlen für feine Lesestunden an den Feiertagen.

Herr A. lächelt beglückt, weil wir nun doch mal was machen, was nicht nach german efficency riecht und dann wendet er einfach und braust Richtung Brücke. Erstaunlich.

*

Ich wollte immer mal dem deutschen Weihnachtsrummel entfliehen und Weihnachten in der Karibik verbringen. Ein Sack voll Bücher, Reggae hören, den Cabwoman so mag, mit ihr am Pool abhängen und sonst nix. Ich bin ob dieses Wunsches nicht mehr sicher. Ein Weihnachtsbaum neben Palmen fühlt sich nicht richtig an.

*


Wer in den nachfolgenden Bildern eine alte Aufnahme von Herrn Kid findet, findet sie halt.


* Nunn, Kem:Wellenjagd, 2002, S. 39






















































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Freitag, 19. November 2021
Fractured moments N°10
Noch ein sonniger Morgen, noch ein Lager, noch ein Büro, diesmal mit einem riesigen Bildschirm.

Ich sagte zum Chef der Veranstaltung:

"Da hast du aber einen tollen Überblick."

Er lachte und meinte: "Ich habe viel mehr Kameras, eigentlich überall. Außer natürlich in den Restrooms."

Und nur um seine Aussage zu bestätigen, zappte er wild zwischen allen hin und her, es konnte einem schwindelig werden.

"Big Brother is watching you; new shared reality is ready to start, raise your stake!"

Wieder ein Lachen. Wieder ein Moment des Unbehagens, gerade auch Hinsichtlich der Äußerungen zum aufkommenden Sozialismus. Völlig irre. Alle.


*


Auto zurück, Uber zum Flughafen. Kleingeistige, uniformiert Menschen, die sich aufgrund dieser Uniform für besonders berechtigt halten; ich kann die nie ernst nehmen.

Premier Access, wir rutschen an allen vorbei.

Menschen, welche Menschen erklären, wie sie ihre Taschen zu leeren haben.

Man möge uns in Europa vor dieser Entwicklung bewahren: betreutes Denken, allein es fehlt mir der Glaube daran. Formalismus und Legalismus.

Allerorten Rechtsanwälte mit Versicherungsmentalität. Es gibt kein Vollkaskoleben und manchmal hat niemand Schuld.


*


Wir sitzen im Flugzeug. Ein Stewart kommt vorbei. Ich frage ihn, ob es möglich wäre, den Platz zu tauschen, da ich gern neben meinem Kollegen sitzen wollen würde und wir aufgrund des Flugzeugwechsels unsere ursprünglichen Reservierungen nicht beibehalten konnten.

Er antworte mir in einer Art und Weise und mit einer Überheblichkeit und Arroganz, die ganz dem Bewusstsein seiner vermeintlich gehobenen Stellung entsprach, die ihm wohl sein Uniförmchen verlieh, gerade so, als wäre ich ein spezialbegabtes Kind.

Also fragte ich ihn, was eigentlich sein Problem sei. Er blickte mich irritiert an.

Ich wiederhole meine Frage genauso arrogant und als wäre er etwas langsam im Kopf:

"Do you think I could change my seat after boarding is over?"

Wieder dieser Attitüde bei seiner Antwort, die exakt das wiedergibt, was er bereits sagte.

Keine Chance. Charakterlich deformiert. Später werde ich seine Purserin fragen und die wird einfach sagen: Sure. Und wieder ein Rammstein-Text:

Wenn getanzt wird, will ich führen
Auch wenn ihr euch alleine dreht
Lasst euch ein wenig kontrollieren
Ich zeige euch, wie es richtig geht




Bumpy and Shaking. Der Service wird eingestellt. Kein Verlust. Noch ein Glas Rotwein und dann hingeschaukelte Träume.


*


Aparte Landung. Von oben ist die Stadt bereits beeindruckend. Unser Host für die nächsten zwei Tage, hier genannt Herr A., fährt im vollausgestatten 7er BMW vor und entschuldigt sich gefühlt tausendmal, dass er exakt 1 Minute nach uns am vereinbarten Treffpunkt ankam. Was für eine Vorstellung.

"Did you have a good flight?"

"Sure."

"Let me load your luggage."

"That's really not necessary, I like to do it myself."

"No, no, you are my guest here in my country."

Und so wird das die nächsten 2 Tage gehen.

Noch mehr Zeitumstellung. Im Hotel angekommen, verabschiede ich mich todmüde. Gute Entscheidung, am nächsten Morgen werde mir die Beiden erzählen, dass sie bis 1:30 in der Hotelbar abhingen. Der Kollege sah auch so aus. Würde ich nicht mehr schaffen, ich werde alt.


*































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