Montag, 6. August 2007
Probleme
Stellen Sie sich mal vor, Danke, gedanklich meinte ich, nun stellen Sie sich also mal vor, dass Sie womöglich gar keine Probleme hätten und wenn schon welche, dann solche, die Sie womöglich gar nicht mit Ihrer Frau Mutter besprechen wollen täten und dann? Dann müssten Sie bei Tisch sitzen und am dritten Tag Ihres Besuches wäre das Wetter auch eher ein trostloses Themlein und die Blumen stehen auch noch immer da wo sie gestern schon standen, denn selten hörte man von Wanderblumen, wäre auch schlimm, irgendwie.
In solchen Situationen sind wir dann immer über die Erfindung eines A.G. Bells froh, denn diese ermöglicht es uns, ganz frisch, sozusagen schlachtwarme, nigelnagelneue Problemfälle zu bekommen. Sollte Ihnen eines fehlen, nehmen Sie doch dieses hier:
Eine junge Frau, 21, schmiss mit 17 ihr Abitur, weil sie von ihrem damaligen Freund, einem arbeitslosen Nazi, geschwängert wurde. Mit 18 verprügelter dieser sie, worauf sie auszog. Mit 19 begann sie eine Lehre, die sie ebenfalls hinwarf. Und heute, so en passant, erfuhr ihre Mutter, dass sie in der neuen Lehre gefeuert wurde, dass sie seit dem 15. April mit einem Kerl, der 44 Jahr alt ist, verheiratet und von diesem auch wieder schwanger ist. Voilá, erstklassiges Problem will ich meinen, zum Glück nicht meines.
Manchmal frage ich mich, was in anderen Menschen so vorgeht, nur diskutieren will ich dies selten, weil ich die meisten Freunde meiner Mutter auch gar nicht kenne. Als ich ihr sagte, dass mir das völlig schnurz ist, hatte ich mein eigenes Problem, denn Mama legt mir das als Desinteresse aus. Schöne Diskussion resultierte daraus, was die Blumen auch dankbar zu Kenntnis nahmen.


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Hahaha!
Nun stell du dir mal vor, rein gedanklich, dass deine Mutter zu Besuch ist und dir, weil sie Platz im Schrank braucht und du ja ein armes, mittelloses Hascherl bist, das für jede Gabe dankbar ist, zwei Kartons Gedöns (alte Teller, eine alte Rechenmaschine, diverses Werkzeug, vertrocknetes Stempelkissen, Halstücher etc.) mitbrachte. Du schaust entgeistert in die Kartons und schüttelst den Kopf, weil du a) genug Teller hast und b) immer gerade so mit dem Platz in der zweiwöchentlich geleerten Mülltonne hinkommst. Deine Frage, ob sie dich besuchen gekommen ist, um ihren Schrott kostenlos zu entsorgen (die Zeit, als du noch ein Blatt vor den Mund genommen hast, ist lange vorbei), malt deiner Mom einen überaus verkniffenen Zug um den Mund, den auch ein gekünsteltes, humorvolles Lachen nicht besänftigen kann. Da ihr euch ja gerade erst vertragen habt, plagt dich nun prompt das schlechte Gewissen. Du hättest ja wirklich die Schnauze halten können. Und soooo schlecht sind achttausend Teller im Schrank ja gar nicht...

Hihihi. Hohoho. Ich sag dir, das ist eine ganz schöne Tortur, bis man seine Mom endlich gross gekriegt und gut erzogen hat. :)))

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Aber wir liebe sie doch. Ich drueck dir die Daumen.

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Puh,
es würde schon ein übermenschliches Maß an Diplomatie erfordern, das Desinteresse an den Geschichtlein der Frau Mama so zu kommunizieren, dass es nicht als Desinteresse an der Person an sich (oder der Menschheit im Allgemeinen) ausgelegt wird. Dabei könnte man es genausogut rumdrehen und der Mutter das Erzählen von uninteressanten und fernen Geschichten als Desinteresse am Sohn auslegen. Aber komisch, dass man das auch so rum sehen könnte, darauf kämen Mütter nicht mal im Drogenrausch.

Ich mache auch immer wieder die Erfahrung: Egal, mit welchem Topic man startet, mit meiner Mutter lande ich immer über kurz oder lang in Meta-Problemdebatten, die mit Erwartungshaltungen ihrerseits und meinem Unwillen, diesen Erwartungen zu entsprechen, zentral zu tun haben. Die Tatsache, dass ich mich zwischenzeitlich selber fortgepflanzt habe, änderte an dieser Grundkonstellation nur kurzfristig etwas. Inzwischen sind wir doch wieder bei dem Muster angekommen, dass es irgendwie meine Schuld ist, dass Omi ihr Enkelin so selten sehen kann...

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Ich freue mich sehr darueber, nicht allein zu sein.
Und dennoch, wie trostlos waere die Welt ohne unsere Muttis. Also ich freue mich, dass wir wieder ein so gutes Verhaeltnis haben. Und das nach 4 Jahren Dauerfehde.

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4 Jahre
ist heftig. Ich bin mal anderthalb Jahre auf Tauchstation gewesen. Nicht unbedingt im Groll oder Hass, ich musste halt was sortiert kriegen, was mit ihr zu tun hatte - und wobei sie mir aus diesen Gründen keine Hilfe sein konnte. Ich rechne es ihr hoch an, dass sie mich in der (schwierigen) Zeit in Ruhe ließ. Sie ist überhaupt ne tolle Frau - und eine sehr starke Persönlichkeit, was natürlich auch auf der anderen Seite ein gut Teil ihrer Reibungsfläche ausmacht.

In wenigen Wochen feiert sie ihren 80sten, und ich kann mir eine Welt ohne sie irgendwie nicht vorstellen.

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Schön. Sehr schön. Sagen Sie ihr das auch mal?

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Ja, sicher.
Tatsächlich gibt es auch Momente tiefer Verbundenheit. Viele der wiederkehrenden Probleme resultieren auch daraus, dass wir sehr viel voneinander wissen, auch was meinen Erbanteil an ihren dunkleren Seiten angeht...

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unsere eltern haben auch eine eigene welt. so, wie wir uns wünschen, dass sie die unsere respektieren (indem sie uns z.b. in ruhe lassen, bei problemen oder keinen problemen), müssen wir uns, begeben wir uns in ihr territorium, halt auch mal ihren mist anhören.
und manchmal ist es auch einfach eine notwendigkeit. meine eltern wussten bis gestern nicht mal, wann ich nun prüfungen habe und welche, obwohl ich es ihnen seit einen monat immer wieder vorbete. ich habe es nun aufgeschrieben, in der hoffnung, dass sie dann dran denken. es ist nicht ihre welt, weil es sie überfordert und oft auch nicht interessiert, also lass ich sie damit möglichst in ruhe. dafür besitze ich genügend kognitive fähigkeiten, mich mit ihren geschichten auseinanderzusetzen. meine eltern leben in einer herrlichen kleinen problemfreien welt. ihre probleme finde ich erfrischend, vielleicht werde auch ich eines tages so eine hübsche heile welt um mich haben, wo man probleme selbst konstruieren und lösen kann. also haben wir wenigstens kommunikation.
das ist eben das ding, was manche kinder nicht wahrhaben wollen: irgendwann dreht sich das verhältnis um, und wir müssen vom hohen ross herabsteigen und mit unseren eltern guzziguzzi machen. und das unabhängig davon, ob sie ihre eltenrolle gut oder schlecht erfüllt haben, denn auch gute menschen können schlechte eltern sein.
ich grolle auch oft mit meinen eltern, weil ich mit bestürzung sehe, wie ihre welt immer kleiner wird und auch mich irgendwann komplett ausschließen wird. aber ich bemühe mich um milde, ich kann es sowieso nicht ändern. also komme ich ihre welt besuchen, sie freuen sich, wenn ich zuhöre, nachfrage oder hin und wieder eine sehr einfache lösung für ein in ihren augen hochkomplexes problem liefere.

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Liebe Morphine,

vielen Dank für diese mal wieder so treffenden Worte. Wenn jeder sie sich zu Herzen nehmen würde, kämen viele deutlich besser mit den kleineren Welten der alternden Eltern klar.
Ich finde übrigens auch, dass sie da Recht haben, ihre Welt zu verkleinern, wenn ihnen die moderne, große suspekt vor kommt oder gar Angst macht. Sie haben lange genug die großen Probleme gewälzt und gelöst. Jetzt sind wir dran.

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es kommt drauf an. vielleicht klang das jetzt auch abgeklärter, als ich es tatsächlich empfinde. weltverkleinerung okay, aber wenn die mich betrifft, reagiere ich empfindlich. ich neige aber dazu, mich dann zurücknehmen. engagiert habe ich mich lange genung, wo nix ist, hat der kaiser das recht verloren. meine eltern sind aber genauso egozentrisch wie ich, dazu kommt langsam die sturheit des alters, also laufe ich gefahr, manchmal zu kurz zu kommen.

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Man mag da nach Gewohnheitsrecht schreien, wie man will. Früher, als Kinder, waren wir genauso egozentrisch. Haben wir uns damals wirklich für die Probleme unserer Eltern interessiert? Wussten wir von finanziellen Engpässen, Stress mit dem Chef etc? Wollten wir das wirklich hören? Ich nicht. Ich habe 1,5 Minuten zugehört, falls mir überhaupt mal was erzählt wurde, dann zog ich meine Kniestrümpfe hoch, gab Mama einen Kuss und zog lachend von dannen. Ich verstand nichts von ihrer Welt. Meine war viel kleiner und nahezu sorglos. Damals kamen meine Eltern bei mir zu kurz. Kann/darf ich heute böse sein, weil sich das Blatt gewendet hat? Ich finde nicht.

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Das, Frau Diagonale,
ist ein sehr guter Hinweis. Freilich haben meine Eltern später nicht versäumt, ihre Retourkutsche vierspännig in Bewegung zu setzen und mir und meinen drei Brüdern alle naslang vorzuhalten, wie sehr sie sich doch für uns krummgelegt hätten, für unser Haus, für unsere Bildung, für was auch immer. Da könne man doch ein bisschen mehr Dankbarkeit erwarten und was nicht noch alles.

Ich kann im Rückblick nur sagen: In dem Maß, in dem mein Verständnis von der Welt als Kind wuchs, wurde ich auch zunehmend mit dem Problem- und Sorgenmüll meiner Eltern konfrontiert und belämmert, insofern blicke ich durchaus nicht nur auf idyllische Zeiten zurück. Und entsprechend hält sich auch meine Dankbarkeit in Grenzen. Ich habe meine Eltern weder darum gebeten, mich auf die Welt zu schaffen noch mir ein Haus hinzustellen und mir später meine Jugend mit ihren Ehe-Problemen und dem Alkoholproblem meines Vaters zu versauen.

Das klingt jetzt sicher härter als ichs meine, aber ich bin weit davon entfernt, hinter dem Fortpflanzungs- und Brutpflege-Verhalten meiner Erzeuger nur Altruismus zu sehen. Schließlich sind wir das Produkt von deren Fun im Bett und Projektionsfläche von deren Selbstverwirklichungsfilmen. Vor daher ist meine Grundprämisse die, dass wir von Natur aus erst mal quitt sind mit den Alten. Punkt.

Alles weitere, was dann möglich ist an Verständigung, an gegenseitiger Anerkennung, auch an Dankbarkeit - das sollte meiner Meinung nach auf dieser Prämisse gründen, sonst bleibt es vordergründiger und hohler Wohlverhaltens-Scheiß um des lieben Friedens willen. Nicht mehr und nicht weniger.

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das dankbarkeitsproblem kenne ich auch. ich bin aber nicht dankbar, ich nehme selbstverständlichkeiten wahr, zumindest in meiner weltanschauung selbstverständlichkeiten und zolle respekt. von der sei-dankbar-kind-attitüde lasse ich mich nicht versklaven, diese ausfälle laste ich meinen eltern sogar als hochmut an. sie bilden sich tatsächlich viel ein, was sie an mir geleistet haben. dass ich aber immer allein und daher sehr selbstständig war, bemerken sie nicht. meine mutter war meine gesamten kindergartenzeit über schwer krank. mein vater hat gearbeitet. da war nicht viel "erziehung". ich habe schon als vierjährige für meine mutter gekocht. das habe ich gern gemacht.
wenn ich etwas wollte, hat meine mutter oft gesagt: "ich zuerst, ich bezahle ja auch." zweite reihe für das kind also. auf der anderen seite können sie überraschend großzügig und offen sein. aber das ist/war eben nicht immer dann, wenn ich es brauch(t)e.
meine eltern haben viele fehler gemacht, bewusst wie auch ungewollt, aber elternsein ist bestimmt auch kein einfacher job. sie lieben mich auch, auf eine ganz komische art und wenn es wirklich brannte, waren sie bestimmt zu 90% anwesend. daran merke ich, dass sie menschlich okay sind. aber menschsein bedeutet eben keine vollkommenheit.
ich frage mich manchmal, was meine eltern bewegt hat, ein kind zu bekommen.

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Jede Kindheitsgeschichte ist natürlich anders. Und schwierige Konstellationen und merkwürdige Verhaltensweise fördern nicht gerade die Dankbarkeit den Erzeugern gegenüber... Um die ging es mir aber gar nicht unbedingt. Eher ging es mir um das Verständnis für die kleiner werdende Welt der Eltern, die unsere heutige Welt oft nicht mehr verstehen (wollen). Ich finde das nicht schlimm. Im Grunde geht es bei uns allen im Leben doch nur darum so glücklich wie möglich zu sein oder werden. Und wenn die heutige Welt die älter werdenden Menschen überfordert, schalten sie eben (oft unbewusst) einen Gang zurück. Wenn sie sich in ihrer Welt dann frei und unbeschwert bewegen können, finde ich das allzu menschlich ok.

Zu Euren Beiträgen: Vor euren persönlichem Hintergrund scheinen Eure Position verständlich. Ich persönlich komme zwar auch nicht gerade aus dem was man eine "gesunde" Familie nennt und auch meine Familiengeschichte ist alles andere als lustig. Dennoch liebe ich meine Eltern. Und ich bewundere sie für vieles, was sie getan haben und für das, was sie heute sind. Sie haben mich in dem was ich tat meist tatkräftig unterstützt (wenn ich sie ließ - wenn nicht, was das auch meist ok) oder mir den Kopf gewaschen, wenn er allzu verdreht war. Ich fand das im jeweiligen Moment auch nicht richtig. Im Nachhinein hatten sie in den meisten Fällen einfach Recht! Heute bin ich diejenige, die meistens Recht hat und ich bin froh, dass sie das mittlerweile auch anerkennen. Und dafür bin ich dankbar. Ich brauche mit ihnen keine Grabenkämpfe auszufechten.

Und übrigens: Ich liebe auch das Leben und bin froh, dass ich ein angeblicher Extrafollikelsprung war und meine Mutter mich trotzdem auf die Welt brachte.

Aber so ist eben jeder Jeck anders.

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