Samstag, 2. Februar 2008
Trick myself
Man muß nicht Kochen können, um in Teufels Küche zu kommen!

JR Cabman


Alles fing an diesem verregneten Mittwoch an. Schon beim Aufstehen merkte ich den Schmerz im Rücken. Nichts Ungewöhnliches. Passiert immer mal wieder und ist bekannt.

Unter der Dusche, im heißen Strahl des Wassers, fühlte ich mich wohl, es spülte die zähen Gedanken weg, übertünchte den Schmerz, wärmte mich auf.

Micky klopfte an der Tür.
„Ich komme nach.“ rief ich und vernahm sein: „Ok, komm aber nicht zu spät. Es ist wichtig.“

Natürlich war es wichtig. Es ist immer wichtig. Ein großes Meeting. Leute, die sonst nie die Traute haben, etwas zu sagen, waren auch da und mein Chef. Also war ich pünktlich, trotz Schmerz.

Wir saßen im Konferenzraum. Alle zusammen waren wir 11 Leute. Ich konnte kaum sitzen und lauschte den Ausführungen der Hampelmänner, die mir sonst nur Probleme machten und was sie sagten, interessierte mich nicht. Geschwafel, dass nur in dieser Sekunde Bestand hatte. Profilierung.

Steffi, die Assistentin des Chefs, saß neben mir. Wir mögen uns, verstehen uns sehr gut, zu gut wie unser Chef mit einem Augenzwinkern findet.

„Du siehst krank aus.“
„Ich fühl mich auch so und dieses ganze Gelaber geht mir gehörig auf den Keks. Zeitverschwendung.“
„Willst du ne Ibu?“
„Nein Danke. Davon bekomme ich Magenprobleme. Ich nehme nachher ne Dolormin.“

Mein Chef schaut mich an.
„Du siehst aus wie ein Stück Raufasertapete.“ meint er.
„Mir geht’s nicht gut.“
„Sieht man. Komm mit in mein Büro. Da legst du dich ne halbe Stunde auf die Couch.“

Wir gehen. Ich bin dankbar, dem Meeting entronnen zu sein und ne halbe Stunde Stille zu haben. Alles ist zu laut.
Das Büro meines Chefs ist die möblierte Dekadenz. 45m² groß. Konferenztisch für 9 Leute. Sitzecke mit einem Dreisitzer, schwarzes Leder. Rundum Verglasung und betörender Aussicht auf die Berge Thüringens. Meins ist nur die Hälfte davon. Ich beschwer mich aber nicht.

Ich liege auf der Couch, lege die Beine hoch. Sofort entspannt sich der Rücken. Wohltat. Mein Chef macht mir das Radio an.
„Ich gehe wieder. Melde Dich wenn du was brauchst, oder komme wieder zu uns wenn du meinst, dass es besser ist.“
„Mach ich. Geht gleich wieder.“
Er schließt die Tür und ich bleibe mit meinen Gedanken allein.

Ich lag da vielleicht 20 Minuten. Draußen regnete es. Ich sollte zurückgehen, dachte ich. Also versuchte ich aufzustehen und bei der ersten Bewegung spürte ich eine so heftige Schmerzexplosion, sah für den Bruchteil einer Sekunde Sterne und unwillkürlich entfuhr mir ein Schrei, dass ich mich über mich selber wunderte. Erschrocken verharrte ich.

So fand ich mich wieder. Auf der Couch in unbequemer Haltung. Regen prasselte gegen die Fenster und im Radio redete jemand von „Deiner Maxitemperatur“. Wieso Duzen die mich?

Ich war unfähig mich zu bewegen. Nicht , weil ich kein Gefühl in den Beinen gehabt hätte, sondern weil der Schmerz, gleich überm Hintern, mich bei jeder Bewegung zu zerreißen drohte. Ich musste an dieses Gnu denken, welches bei der Überquerung eines Flusses von einem Krokodil gerissen wurde. Es lebte und konnte sich doch nicht wehren. Wieso kommt man auf solche Gedanken?

Ich beschloss zu warten. Das Meeting konnte nicht ewig dauern. Sie würden mich finden. Ich sah mir die Decke an. Ob Chef weiß, dass er einen Wasserfleck hat? Ich sollte es ihm sagen, sobald ich hier raus bin. Der Regen wurde stärker. Im Radio verkündete man die Nachricht eines Unfalls.

Wieso informieren sie uns über ein armes Schwein, dass wir alle nicht kennen, aber trotzdem stirbt? Man könnte doch auch davon berichten, dass eine OP glückte, das Leben gerettet wurde, Positives eben. Ich glaube die Welt wäre eine bessere, würden wir uns mehr mit positiven Nachrichten beschäftigen. Aber irgendwie gehören die hässlichen Geschwister Tod und Krankheit an jeden Kaffeetisch, sind immer interessanter, für andere. Ich will davon nichts hören. Gedanken kommen und gehen wenn man auf sich zurückgeworfen ist.

Vor der Tür sind Geräusche. Es muss Steffi sein, die etwas für das Meeting holt. Ich will rufen. Kann aber nicht, denn auch Rufen verursacht Schmerz. Also krächze ich: „Steffi?“
Keine Reaktion. Das Radio wohl, oder der Regen. Oder ich bin einfach zu leise. Das Geräusch ist wieder weg.

Mich beschleicht das Gefühl, dass ich noch ewig hier liegen könnte. Mir tun alle Muskeln weh, denn ich versuche den Körper in einer Position zu halten, die schmerzneutral ist, stütze mit Beinen und Armen den Rücken. Ich beschließe Hilfe zu holen.

Das Telefon meines Chefs ist hinter mir auf dem Schreibtisch. Abstand zu meiner Position: ca. 1,50m.
Auf dem Zweisitzer gegenüber liegt mein Sakko. Darin befindet sich mein Handy. Abstand: ca. 1m.
Ich muss mein Handy haben.

Langsam lasse ich mich von der Couch gleiten. Aufstehen ist nicht möglich. Jede Bewegung löst eine Schmerzsalve aus. Vierlingsgeschütz. Ich will nicht heulen. Presse Stöhnen und Keuchen durch geschlossenen Mund. Der Glastisch muss weg. Der Weg darum herum wäre zu weit. Es kostet Zeit und Schmerz den Tisch zu bewegen. Es gelingt kaum. Ich muss immer wieder pausieren, die Schmerzwelle abebben lassen, eine Haltung einnehmen, die mich verschnaufen lässt. Auf allen Vieren robbe ich mich an die Couch heran. Es dauert Jahre.

Dann ist es geschafft. Das Sakko ist in Reichweite. Ich strecke den Arm aus. Erleichterung überkommt mich, als ich einen Zipfel des Sakkos in der Hand halte. Gleich ist Hilfe da.

Ich habe mein Handy. Leider ist es „offline“ wegen des Meetings. Ich bin noch nicht durch. Manchmal bekommen wir hier kein Netz. Es ist Wetter abhängig. Heute Regnet es.

Gott sei Dank. Zwei Balken auf der Netzskala. Ich will gerade Mickys Nummer wählen und halte inne. Ich kann mich so nicht zeigen. Geht nicht. Ich muss zumindest wieder auf die Couch. Ich krabbele zurück, hieve mich hoch und glücklicherweise habe ich noch immer Netzempfang.

„Was is los, Dicker?“ fragt Micky.
„Ich brauch Hilfe. Kannst du eben vorbeikommen? Ruf bitte auch den Notarzt an. Ich kann mich nicht bewegen.“

Ich hatte es kaum ausgesprochen, da stand Micky auch schon vor mir.
Ich erkläre kurz die Situation, er fasst es nicht, ich auch irgendwie nicht.

Warten.

Vier Engel in roten Uniformen stehen vor mir. Einer davon ist der Arzt. Er nickt wohlwollend. Er kennt das. Alltag für ihn. Die Jungs sind ausgesprochen nett zu mir. Ich frage mich warum und warum sie mit einem ganzen Geschwader hier aufschlagen. Stelle diese Frage aber erst später.

Sie legen mir einen Zugang.

„Sie bekommen jetzt ein Morphiumderivat. Es wird ihnen den Schmerz nehmen und dann fahren wir ins Krankenhaus. Fühlen Sie ihre Beine?“
„Ja“ sage ich und sehe wie mir der nette Sani, mit dem ich später wieder zusammentreffen sollte, einen Spritzenzylinder an den Zugang hängt.

„Es sollte schon wirken. Können Sie aufstehen?“
Ich probiere es. Es geht. Linksseitig ist der Schmerz noch da, aber es ist kein Vergleich zu dem, was ich bis eben aushielt.

„Entweder, ich habe gerade ein Kreislaufproblem, oder eure Droge ist der Hammer.“ Die Ränder meines Sichtfeldes flimmern als ich stehe. Komisches Gefühl macht sich breit.
Kunstvolles aber teuflisches Treppenhaus

Der nette Sani prüft den Blutdruck.
„130 zu 90“ sagt er. „Kein Grund zur Sorge“
„Also doch die Droge.“ grinse ich schief.
„Glauben Sie, Sie können die Treppen selber gehen?“
„Ich will sogar. Ich denke es wäre eine Zumutung für euch, mich diese Treppe hinunter zu tragen.“
„Glauben Sie uns, “ sagt einer und dabei schwingt ein bisschen Stolz mit, „dass würden wir hinbekommen.“
„Da bin ich sicher, ihr seid Profis!“

Sie lachen und ich mit, wenn auch hauptsächlich, weil der Schmerz nicht mehr so eklatant ist.
James Füße werden verladen

So fahre ich zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Krankenwagen. Ich sehe über den Rand der Milchglasscheibe die Fabrik kleiner werden. Es ist warm. Ich fühle mich geborgen, könnte einschlafen, doch der Doc fragt die wichtigen Infos ab: Versicherungsstatus, Familienstand, Wohnort…

Danach unterhalten wir uns. Er ist Münchner und wegen des Jobs umgezogen, das Übliche. Netter Typ, finde ich.

In der Notaufnahme fragt ein blondierter pickeliger junger Mann den Arzt, was er da bringe.
Dieser antwortet etwas, dass ich nicht verstehe.

Ruhig ist es hier. Keine Hektik. Es scheint, als wäre ich der einzige Patient.
Sie schieben mich in ein Behandlungszimmer. Wenn ich bis hier hin keine Angst hatte, dann bekomme ich sie jetzt beim Anblick all der Apparate. Die werden wirklich eingesetzt. Bestimmt bei schlimmeren Fällen, beruhige ich mich. Der nette Sani bleibt die ganze Zeit über bei mir.

Verstörende Aussichten

Der diensthabende Arzt erscheint. Er bleibt vor mir stehen, mustert mich eindringlich und fragt dann:
„Kenne ich Sie? Aus dem Fernsehen vielleicht?“
Ich bin verwundert und amüsiert.
„Nee, ich glaube nicht.“ antworte ich und beschau ihn meinerseits. Er kommt mir auch bekannt vor.
Ich frage: „Vielleicht aus einem anderen Klinikum? Hamburg, Nürnberg, Leipzig, Lüneburg, oder Halle?“
„Bestimmt nicht.“ entgegnet er. „Aber ne beeindruckende Krankenhauskarriere haben Sie da.“
„Nicht wahr?“
„Na immerhin können Sie noch Faxen machen.“
„Ich habe Rückenschmerzen und bin nicht Kopfkrank. Außerdem bin ich von Grund auf ein positiver Mensch und sicher, dass Sie das hier wieder hinbekommen.“
Er lacht und sagt: „Na dann wollen wir mal.“

Es folgen Spritzen, Einrenkungen, Akkupunkturnadeln, Massage und ein paar Runden, die ich um den Behandlungstisch gehen muss. Am Ende fragt er: „Und? Wie fühlen Sie sich jetzt?“
„Besser. Wenngleich der Schmerz noch latent da ist.“
„Das vergeht. Ihr Körper braucht jetzt Zeit.“

Die will ich ihm geben, bis morgen. Der Arzt geht und der nette Sani, der die ganze Zeit über bei mir blieb, gibt mir mein Handy, meine Uhr und mein Sakko wieder.

„So eine Behandlung habe ich auch noch nicht gesehen.“ raunt er mir zu. „Aber wenn es hilft.“
Ich will mich gerade Verabschieden, als ich ein sehr flaues Gefühl im Magen bekomme. Ich sage es. Der Sani nimmt mich am Arm und zieht mich zu einer Spüle. Ich übergebe mich. Pures Wasser, welches ich am Morgen trank, kommt eins zu eins wieder raus. Ich hatte noch gar nichts gegessen, fiel mir auf.

„Wir haben Sie auch ganz schön vollgepumpt, Sie sollten mal etwas Essen.“ sagt mit mitleidigem Blick der Sani. Ich verspreche es und fühle kurz nach, ob ich wirklich gehen kann. Kann ich und will ich auch.

Ich bedanke und verabschiede mich.
„Hoffentlich sehen wir uns nicht wieder.“ scherzt der Sani. Es wird anders kommen.
Ich schleiche zum Haupteingang und rufe dabei das Büro an. Moni geht ans Telefon. Meiner Bitte, mich abzuholen, kommt sie gerne nach.
„In 5 Minuten bin ich da.“
Ich warte.


To be continued…..


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