Montag, 19. Juni 2006
Bruchstücke
Dann war da noch dieser Engel, der mir gegenüber sass. Mit güldenem Haar in einem Sommerkleid, unten am Hafen, bei all den Schiffen, im Café, wo auch Touristen einkehrten, doch ich sah nur sie. Sah wie sie mich anschaute über den Rand ihrer Tasse, die sie in beiden Händen hielt. Ihre Augen waren so blau und tief wie das Meer und wenn man nicht aufpasste konnte man in ihnen ertrinken, doch ich wehrte mich tapfer und sagte:
„Dein Vater muss ein tüchtiger Mann sein.“
„Was meinst Du?“
„Ich mein die Arbeit, all die Sterne vom Himmel zu pflücken, Deinem Blick dieses Strahlen zu verleihen.“
Sie schmunzelt. Etwas verlegen zupft sie an ihrem Kleid, das perfekter nicht hätte sitzen können. Sie schaut wieder zu mir, verlegen. Sie streicht sich das Haar aus dem Gesicht und schlägt die Beine übereinander.
„Meinst Du es ist Liebe?“ und dabei schaut sie mir plötzlich direkt in die Augen.
„Nein, aber ich glaube es könnte eine werden.“
„Meinst Du man kann das Lieben lernen?“
„Ich weiß nicht. Ich glaube die Liebe braucht Zeit.“
„Glaubst Du nicht an die Liebe auf den ersten Blick?“
„Nein. Ich glaub es gehört mehr dazu, zur Liebe. Ein einzelner Blick wird ihr nicht Gerecht“
„Ich verschenke mein Herz gern. Ich mag die Schmetterling im Bauch, die erste Berührung, den ersten Kuss. Ja, man könnte direkt sagen ich liebe die Liebe.“ Und da strahlen ihre Augen, dass es kein Zweifel an Gesagtem gab.
„Es ist gefährlich sein Herz zu verschenken. Sei vorsichtig damit.“
„Ich versteh Dich nicht, was meinst Du?“
„Na, jedes Mal, wenn Du dein Herz verschenkst und es dann zurückbekommst, bleibt ein Stück davon bei dem Beschenkten. Es ist nicht mehr komplett. Es fehlt ein Stück.“
„Pfui. So etwas darfst Du nicht sagen. Es stimmt nicht.“
„Doch, doch wenn ich es Dir doch sage. Es ist wie mit einer Vase. Ja, eigentlich ist das Herz eine Vase. Man reicht sie dem Partner, gefüllt mit einem Strauss Liebe und dieser wird mit der Zeit welk. Man wirft ihn dann weg, den alten Strauss, aber die Vase will man wieder haben. Und dann beim Aufräumen, wenn der andere sie nur schnell holen will, dann fällt sie runter und geht kaputt. Man bekommt sie wieder, keine Frage, aber in Scherben. Und dann sitzt man da, an einem verregneten Samstag, hört The Cure, trinkt sich ins Reine mit einem viel zu schweren Rotwein und klebt die Vase wieder zusammen, weil sie ja die einzige Möglichkeit ist, den Strauss Liebe zu bewahren und am Ende merkt man, dass ihr ein Stück fehlt. Das hat meist noch der Andere. Aber diese(r) gibt es nicht raus, denn man erinnert sich so gern an Deine Vase, wie sie so schmückend da stand.“
„Oh, hör auf. Das ist schrecklich unromantisch. Ich will es nicht hören. Es deprimiert mich. Ausserdem ist es nicht wahr. Es gibt viele Menschen, die auch im Alter noch viel Herz zu vergeben haben!“
„Ja, das stimmt. Wenn man das Glück hat, jemanden zu finden, der sehr sorgsam mit der Vase umgeht, tja dann hält sie wohl ewig. Ich sag ja auch nicht, dass Du sie gar nicht verschenken sollst. Ich sage nur Du sollst vorsichtig sein. Je öfter Du sie weggibst und je ramponierte sie ist, umso wählerischer wirst Du bei der Vergabe werden und vielleicht wählst Du dann den Menschen weg, der besonders behutsam mit ihr umgegangen wäre. Oder Du hast ganz am Ende vielleicht gar keine Vase mehr übrig. Das wäre erst traurig, denn wie willst Du dann die Liebe bewahren?“
„James Cabman, Du bist ein komischer Kauz und ich möchte jetzt nicht mehr mit Dir darüber reden.“
„Lena Björksson, du bist nicht minder komisch, aber gut. Willst Du noch einen Kaffee?“
„Ja, bitte….. Du James?“
„Ja?“
„Würdest Du nun auf meine Vase aufpassen wollen?“
„Hm, ja weißt Du, eigentlich noch nicht. Ich schleppe im Augenblick zu viele Erinnerungsscherben und Bruchstücke mit mir rum. Die muss ich erst sortieren und zum Müll bringen. Es tut mir leid.“
„Bestimmt nicht mehr als mir. Schade eigentlich.“
„Stimmt.“


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