Montag, 30. März 2009
Enjoy the silence
Und als sie ging blieben nichts außer einem Hauch ihres Parfüms in der Luft und das Warten darauf, dass sie wiederkäme. Wie jeden Morgen.

Ich besuchte Edeltraut. Sie wohnte eine Etage unter uns und es gehörte zu meinem Zeitvertreib, mich ihrer anzunehmen und ein wenig zu kümmern. Meist saßen wir still beieinander. Ich auf einer Couch, die, als sie produziert wurde, noch Sofa hieß und die mit ihrem schlichten Muster die Bescheidenheit und Zurückhaltung der Wirtschaftswunderjahre zum Ausdruck brachte. Im Gegensatz zu den Modellen von heute, wo man von der überbordenden Üppigkeit floraler Auswüchse jedweder Sitzmöbel erschlagen wurde. Ich mochte dieses Sofa und Edeltraut mochte ich auch.

Wie immer saß sie mir gegenüber in ihrem Sessel und es war bedauerlich zu sehen, dass Ihre Erinnerungen schneller verblichen als das Dekor des edlen Porzellans, welches ihr von ihrem Mann einst geschenkt wurde.

„Mir fehlen mehr und mehr die Bilder. Ich weiß nicht mehr was Ottos Lieblingsessen war.“

„Aber du weißt wie er aussah? Und du weißt, dass er dich liebte.“

„O ja. Das tat er. Glaube ich. Ich meine, sicher kann man sich nicht sein. Nach all den Jahren.“

„Nun sei nicht ungerecht. Ihr habt all die schweren Jahre gemeinsam durchgestanden. Glaubst du, er hätte dies getan, wenn er dich nicht geliebt hätte?“

„Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.“

„Erinnerungen wollen gepflegt werden.“

„Kannst du dich an alles erinnern?“

„Oh nein. Aber ich habe Bilder, die recht präsent sind.“

Und dann erzählte ich ihr von diesem traurigen Tag, an dem wir unseren Hund einschläfern ließen. Es regnete und verheult wie wir waren, fuhren wir nur langsam über die Straße, die sich vor uns durch die dunklen Wälder Südschwedens schlängelte. Plopp Plopp machte der Scheibenwischer und ganz leise lief Musik im Hintergrund. Depeche Mode hatte gerade „Remixes 81-04“ rausgebracht, die ihr Bruder für mich besorgte hatte. Wir hörten diese CD damals hoch und runter. Genau in dem Moment, als uns klar wurde, dass es diesen Hund nicht mehr geben würde, erklang Enjoy the silence in der neuen Variante.

Wir mochten beide diese Version, doch als ich sie anschaute, unfähig ein Wort des Trostes zu sprechen, da sagte sie: “Ich werde dieses Lied nie wieder hören können, ohne an den heutigen Tag zu denken.”

Damals wusste ich nicht was sie damit meinte. Heute, ein paar Jahre danach, weiß ich es umso mehr. Wann immer dieses Lied erklingt, sehe ich uns in diesem Volvo V70, den Regen, die Düsternis einer schwedischen Landstraße und ihre Traurigkeit, der ich immer so hilflos gegenüberstand.

Edeltraut schaute mich überrascht an.

„Das ist eine traurige Erinnerung.“

„Ja. Sie ist sogar sehr traurig. Aber ich werde sie immer behalten.“


Abends dann, als sie neben mir wieder im Bett lag, sprach ich:“Bitte werde keine Erinnerung.“

Im Halbschlaf nuschelte sie:“Was?“

„Ach nichts.“


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