Freitag, 25. September 2009
Die Liebe, das Lied und die Jugend
Bevor Sie sich dem heutigen Eintrag nähern, bitte ich Sie, einmal durchzuscrollen, um die Ausmaße dieses Beitragsepos zu überblicken. Nicht das es nachher Vorwürfe gibt, Ihnen wäre die Suppe angebrannt, oder zwischenzeitlich Ihr Partner weggelaufen.

Der Eintrag steht hier, um einem Wunsch nachzukommen, den ich mir wünschte und zwar von Frau Monolog, die ähnliche Thematik gestern aufbereitete. Wie könnte ich ihr den abschlagen, wo ich ihr doch schon keine Armeejacke besorgen konnte;-)))

Mit freundlichen Grüßen an die, die es mögen, besonders aber an Büffel (ja ich bin auch von diesem schrecklichen Lied traumatisiert), Frau Bona, Gorilla, Hora, Frau Blütenstaub (wegen der Dramatik;-)) und der Dame von der anderen Seite des Stadtparks.

Eigentlich wollte ich nur Erklärendes zu "Pierre und Luce" für Herrn Monopixel schreiben doch dann überbordete ich.

Mir fiel auf, dass ich beim Stöckchen flunkerte, ich war bereits 15, aber das sei bitte nach all den Jahren entschuldigt.

Es bleibt festzuhalten: Schriftstellerei scheint Knochenarbeit zu sein und stellt eine hohe Forderung an die Eigenmotivation.

So. Jetze überlass ich es Ihnen.

Habe die Ehre.




Pierre und Luce
Maria und James

oder

Jedem seine Bombe



Erstkontakt

Ich war immer nur der jüngste, weil die anderen früher geboren worden. So auch im Jahre 1989, welches ich fast die gesamte Zeit über als 15jähriger verbringen musste, während meine Kumpels alle mehr oder minder schon 16 waren. In diesem Alter war das von Relevanz, gerade wegen der Mädchen.

Im Sommer 1989 wurde ich von der FDJ mit einem ansehnlich uninspirierten Schreiben, das da begann mit „Lieber Jugendfeund…“ zum Sommerlager nach Güntersberge eingeladen. Dies hatte den Hintergrund, dass meine Klassenkameraden mich zum Chef bestimmt hatten. Keine Ahnung warum, ich hatte einen richtig guten Notenschnitt, aber nicht den besten und jeder wusste um die prekäre Situation meines Vaters. Trotzdem, oder gerade deswegen, war es mir bestimmt, den Manager zu geben, was ich auch grandios umsetzte und oft mit Abwesenheit glänzte.

Also fuhr ich da hin, zum kommunistischen Aufbautraining, was sollte man auch sonst tun im präkkaptialistischen sozialtischen Einheitsstaat. Es war eben eine gute Gelegenheit dem Ärger des Elternhauses zu entkommen. Glücklicherweise kam mein damals bester Kumpel Maik mit. Er stammte aus einem ganz anderen Dorf und besuchte eine ganz andere Schule, doch ich fühlte mich eher mit den Jungs aus diesem Umfeld geistig verwandt als mit meinen eigenen Klassenkameraden.

Besonders mochte ich aber Maik, mit dem mich eine innige Liebe zu The Cure verband, die Lust am Zeichnen, Tanzen und natürlich Mädchen. Später in diesem Schicksalsjahr 1989 sollten wir uns massiv zerstreiten und ich habe seit dem nie wieder ein Wort mit ihm geredet, was ich manchmal in stillen Minuten bereue.

Maik wollte immer Robert S. sein. Ich wollte immer ich sein und tue mich noch heute damit schwer

Maik und ich bezogen unser Quartier in einem dieser Bungalows, die Platz für bis zu 12 Personen boten. Jungen und Mädchen wurden strikt getrennt und Sanitäranlagen gab es in einem Extragebäude zur gemeinschaftlichen Nutzung. Für jede Gruppe war ein Team aus zwei Betreuern verantwortlich. Meist waren dies ältere FDJlerInnen. Wir hatten Glück, denn bei den beiden Damen, die für uns verantwortlich waren, handelte es sich um sehr realistisch denkende und deswegen sehr desillusionierte Frauen, die nicht nur recht hübsch waren, sondern auch ziemlich cool.

„Liebe Freunde, hier ist ab 23.00 Uhr Nachtruhe und ich will dann keinen Mucks hören wenn ihr zu den Mädchen rübergeht. Ich will auch nicht erleben, dass sich einer von euch was tut, auf seinem Weg hin oder zurück vom Mädchen-Bungalow. Ist das klar?“

Das war klar und für diese Ansage haben wir die beiden sehr gemocht.

Neben dem täglichen Programm aus Sport, Spiel, Spaß, Freude und politische Erziehung waren natürlich die Abendveranstaltungen das Wichtigste. Besonders die Lager-Disco war die Hauptattraktion, der alle mit höchster Erwartungshaltung entgegensahen.

Auch Maik und ich gingen hin. Wie damals üblich in schwarzer Hose, weißem Hemd, weiße Knöchelturnschuhe, weil wir waren ja Cure-Fans und da gehörte sich das so. Man durfte das Outfit auch mal mit einem schwarzen Pullover variieren, wobei dann aber darauf zu achten war, dass das Hemd hervorlugte, denn Robert Schmith trug das so.

Wir beiden standen in unserer Ecke, versuchten cool zu sein und dabei auch sehr traurig zu wirken, denn wir fühlten den Weltschmerz und konnten viele Lieder darüber singen. Siamese Twins zum Beispiel. Leider und das gilt bis heute, war unserer Musikgeschmack nicht massenkompatibel. Zu der Zeit wurden die Charts von Mory Kante und Ofra Haza beherrscht und dies war auch die vornehmlich gespielte Musikrichtung.

Erschwerend kam hinzu, dass es eine Regel für Plattendreher gab, wonach ein gewisser Teil der gespielten Musik aus den sozialistischen Staaten stammen musste. Daran wurde sich jedoch nur in den allerseltensten Fällen gehalten. Sehr viel schwerer wog die Tatsache, dass gerade bei diesen mobilen Dissen der DJ oftmals nicht die gewünschte Musik dabei hatte. Das galt besonders für den von uns gemochten „exotischen“ Kram. Darum hatten wir immer eine Kassette mit unserer Musik dabei. Diese Aufnahmen mussten aber von sehr guter Qualität sein, denn die meisten DJ´s weigerten sich andernfalls, diese zu spielen.


Stern 1000Radiorecorder, der meistverkaufte Kaasendreher in GDR


Zur damaligen Zeit war „Kiss me Kiss me Kiss me“ das Neueste von The Cure und wir hatten eine saustarke erste Kopie (direkt von Platte aufgenommen) im Gepäck und mit der gingen wir zum Musikbeauftragten, der nach kurzem anhören versprach, ein – zwei Lieder zu spielen, wenn er sich eine Kopie ziehen dürfte. Durfte er, wie waren glücklich und wartenden.

Enthusiastisch still standen wir am Rand des Geschehens und schauten mit verächtlichem Blick den Pet Shop Boys Poppern zu, als eine kleine Gruppe Punks die Szenerie betrat. Wir beäugten uns eine Weile, um dann festzustellen, dass wir uns egal waren und damit waren wir schon fast Freunde.

Endlich spielte der DJ „Why can´t I be you“ an und Maik und ich fanden uns ganz allein auf der Tanzfläche vor. Wir tanzten sehr traurig zu diesem fröhlichen Lied, jeder in seiner Welt, auch so ein verbindender Moment zwischen uns beiden. Ich kann bis heute nicht in Worte fassen, was mich an dieser Band so berührt.

Direkt im Anschluss lief „How beautiful you are“ und nun hatte sich ein Kreis(!) von interessierten FDJlern und Pionieren um uns gestellt, um uns zu beobachten. Das konnte nur bedeuten, dass der DJ die Kaase (von uns erfundenes Wort für Kassette, weswegen der Stern 1000 Radiorecorder auch Kaasendreher hieß)einfach durchlaufen ließ und dass die Mehrzahl der Anwesenden noch nie Cure-Fans gesehen hatte. Auch die Punks standen interessiert am Kreis, als sich ein junges Mädchen aus ihrer Mitte löste und mittanzte. Ab da waren wir dann richtige Freunde.

Es war auf den DDR-Tanzveranstaltungen Usus, dass es ca. eine halbe Stunde gab, in der Musik wie Cure lief, aber auch die Sisters of Mercy, Die Ärzte und dergleichen und im Anschluss daran wurde ebenso die Metal-Fraktion beglückt. Es folgte einem immer gleichen Schema.

Maik und ich tanzten noch ein bisschen Depeche Mode ab und „Roter Minirock“ und wollten eigentlich mit dem Ausklingen des Liedes die Tanzfläche verlassen, denn dem Ablauf des üblichen Procedere folgend, hätte nun Metal gespielt werden müssen. Gab es aber nicht, denn es ertönten die ersten Klänge von „Pierre und Luce“.

Dieses Lied kannte ich da noch gar nicht, fand es aber unerhört schön, tief traurig und staunte auch nicht schlecht, als sich die kleine Punker-Schar zum Takt wiegte. Das Lied hätte ewig so weitergehen können, ich war dem Text schon verfallen, als es plötzlich explodierte und uns wegzufegen drohte. Die Punks begannen fröhlich zu pogen. Maik und ich standen mittendrin und konnten gar nicht anders, als mitzumachen, was eine recht schmerzhafte Erfahrung war. Wir waren keine Freunde dieser Tanzart, ich bin es bis heute nicht, es spiegelt nicht mein Gefühlsempfinden wieder, Maik ging es ähnlich und trotzdem ließen wir uns gefangen nehmen von der puren Energie.

Wie wir im Nachhinein erfuhren, hatte Andreas, ein Junge aus Halle/Saale, sich das Lied auch im Namen seiner Kollegen gewünscht und gleich mal eine Kaase abgegeben. Genau dieser Andreas traf mich während des Tanzes mit seinen Boots und wurde an diesem Abend noch mein bester neuerster Bekannter, weil wir uns nach der Disse in unserem Bungalow trafen, denn Maik und ich mussten unbedingt eine Kopie dieses wunderbaren Liedes haben. Und wie erstaunt waren wir, als Andreas uns erklärte, dass die Gruppe „Die Skeptiker „ hießen und aus dem Osten kamen?

So entstand der Kontakt zu den Punkern, die allesamt aus Halle/Saale kamen, wofür sie von Maik und mir ein wenig Bewunderung erfuhren, denn Halle war nach unseren Maßstäben eine Großstadt. Sehr beeindruckend für zwei Junges vom Dorf, gerade in den damaligen Zeiten, wo ohne Internet oder jegliche Form von moderner Kommunikation, die Trends und Stilrichtungen immer etwas länger brauchten, um auch bis zu uns vorzudringen. Der ganze Habitus, die Attitüde der Gruppe aus Halle zeigte, dass die ein ganz anderes Leben lebten und ein bisschen waren Maik und ich neidisch.

An diesem Abend, in dieser wohlorganisierten und völlig alkoholfreien Disco hörte ich zum ersten Mal „Pierre und Luce“ von „Die Skeptiker“. Es hat mich von Anfang in seinem gesamten Arrangement begeistert, obwohl mich der Text immer wieder aufs Neue berührt. Irgendwo da ganz unten, wo jeder Versuch einer Erklärung bereits im Ansatz an seiner Lächerlichkeit scheitert. Es gibt Dinge, die sind nicht zu erklären.


Maria

Nachdem wir bereits fast eine ganze Woche im Lager verbracht hatten, erklärte uns unsere Gruppenleiterin, dass wir ein Mädchen hinzubekämen. Dieses Mädchen hieß Maria und kam direkt aus dem Jugoslawien Urlaub. Wir sollten bitte nett sein und die Mädchen sollten in ihrem Bungalow ein bisschen Platz freimachen.

Und dann kam sie. MARIA. Und mir blieb das Herz stehen, denn Maria war keineswegs schüchtern, sehr aufgeschlossen, klug und wunderschön. Sie stellte sich vor und ich war ihr sofort erlegen. Bis dahin hatte ich nur Spaß mit den anderen Mädchen im Lager gesucht. Da war keines, das mich bedrohte oder mich inspirierte. Dann sah ich Maria, wir sprachen nur 2 Sätze und alles war anders. Ich wusste, ich war verloren. Sehr verloren.

Es war diese Gefühlslage, die man nicht beschreiben kann, dieses Reißen und Drängen, dieses Wollen und nicht können, der eingebremste Übermut, die erzwungene Vorsicht und der Wunschgedanke, der alles Rationale hinfort bläst. Sie war die erste, die dieses Chaos der Gefühle bei mir auslöste. Damals wusste ich es nicht, ich musste Maik fragen und als der mir lachend bei einer „Club“ erklärte, dass ich wohl verliebt sei, klang das erst albern und wurde dann mehr und mehr zur Gewissheit. Ich war verliebt.

Selbstredend besuchte ich ab Marias Erscheinen alle Schulungen, die sie besuchte. Ich wollte einfach in ihrer Nähe sein, wollte so viel als möglich von ihr wissen. Maik lachte über mich und Maria fragte, ob ich mich wirklich für den imperialistischen Überfall auf Vietnam interessierte. Nö, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß, ich bin nur hier, weil du da bist. Sie lachte, schaute mich komisch an und sagte, dass das sehr aufrichtig sei. Aufrichtig! Wie viele 15jährige Mädchen kennen dieses Wort oder dessen Bedeutung? Und genau das war es, was mir an ihr gefiel, was mich bis heute betört: Ein Gesicht und der Intellekt dahinter.

Ich bekam während der Schulungen zum Überfall auf die Schweinebucht und dergleichen über Maria heraus, dass sie 15 war, aus einem kirchlichem Elternhaus stammte, ihre Eltern sich in der Friedensbewegung engagierten, natürlich in Halle wohnte, und mit den meisten Menschen in ihrem Alter nichts anfangen konnte. Ich war da die Ausnahme, ich war lustig, meinte sie und viel weiter in meiner Entwicklung. Maik hat sich hingelegt vor Lachen als ich es ihm erzählte. Ich war ihm aber nicht böse, ich konnte es selber kaum glauben und was macht man mit so einer Aussage, wie bewertet man sie, wenn man ihre Bedeutung nicht mal annähernd begreift? Man lacht mit.

Leider lag in diesem Entwicklungsvorsprung, den Maria hatte, auch unsere Tragödie begründet, denn sie mochte sich viel lieber mit älteren Jungs beschäftigen. Ich habe keine Ahnung wieso das bei Frauen so ist, habe aber die Gewißheit, dass ich heute davon profitieren könnte, doch damals war ich sehr geschockt, als sie mich fragte, wie ich denn den Freund von Andreas, diesen Ingo fand.

Besagter Ingo war der Anführer der Punks, 17 Jahre alt und ein gutaussehender Typ, wie ich neidlos anerkennen musste, natürlich aus Halle und zu allem Überfluss war der auch noch nett.

Ordnungsgemäß sagte ich, dass ich den ganz nett fand und sie sah mich wieder komisch an und meinte: Ich finde den richtig süß. Zack. Das war die Faust in der Fresse und ich fühlte mich hintergangen. Es gab keinen Grund dafür, das wusste ich, aber nur weil man etwas einordnen kann, heißt das noch lange nicht, dass man es auch ertragen wird. Also ging ich. Ganz weit weg. Bis hinter die Küche, da zum Zaun und rauchte. Alles gewollt, nichts bekommen. Nun sei fair, James, dachte ich. Du hast ihr nie gesagt was du für sie empfindest und deswegen ist es zu allererst deine Schuld. Da hatte ich recht und fand mich dafür doof.

Ich ging zurück und versucht mir nichts anmerken zu lassen. Und tatsächlich hat sich niemand für mich interessiert, aber ich habe auch nicht darüber lamentiert. Boys don´t cry. Nicht mal Maik wusste davon. Ich verbrachte die restlichen Tage noch immer soviel Zeit wie möglich mit Maria, wollte in ihrer Nähe sein. Wir lachten viel, lästerten, aßen Eis und gingen Schwimmen. Es hätte die perfekte Teenagerromanze sein können, hätte Maria nicht die Art von Freund, die ich so gern gewesen wäre, in Ingo gefunden.

Je besser die beiden sich verstanden und je deutlicher die gegenseitigen Absichten wurden, desto weniger Zeit blieb für Maria und mich. Es war wirklich Traurigkeit, die mich befiel, wenn ich die beiden so vertraut miteinander umgehen sah, aber sie haben nicht soviel gelacht wie Maria und ich.

Irgendwann ist auch Maik ein Licht aufgegangen und dann kam der Abend, wo wir uns im Dorf Goldkrone gekauft hatten und uns so richtig bei den Tischtennisplatten den Schädel wegschossen… wir gaben dabei keinen Mucks von uns und taten uns auch nichts, dachten wir. Es war jedenfalls das Thema am nächsten Tag in unserer Gruppe und wir haben uns auch wirklich ganz doll entschuldigt. So gut es halt ging mit dem Schädel.

Am letzten Abend wurde ein Abschiedsdisco veranstaltet und man mag es kaum glauben, aber viele derer, die Maik und mich Anfangs skeptischen Blickes bestaunten, liefen nun ebenfalls in schwarzen Hosen und weißen Hemden rum.

Diese Entwicklung erfolgte schleichend, die ganze Zeit über und ich habe mich immer gefragt, was deren Verbindung zu dieser, meiner Musik ist. Es gab keine Antwort und Maik meinte verächtlich: Abgrenzungsphänomen ohne Inhalt. Sie wollen etwas sein, was sie nicht sind. Das war es wohl.

Wir standen in unserer Ecke zusammen mit den Punks und natürlich Ingo, aus Halle(!) an dessen Seite Maria stand und mit ihm Händchen hielt. Ich habe das wirklich gehasst.

Die Veranstaltung plätscherte an uns vorbei, denn wir wartenden auf unsere Musik und waren viel zu cool, um diesen Mainstream abzutanzen, als Maria plötzlich neben mir stand und fragte, ob wir einen Abschiedstanz tanzen wollen. Wollte ich und fragte trotzdem: „Zu der Musik? „

„Warum nicht?“ War ihre Antwort und damit zog sie mich auf die Tanzfläche, wo wir dann tatsächlich mit dem berühmten 1,2 Tip so „richtig“ zusammen tanzten. Es war schon berauschend und beängstigend zugleich, ihr so nah zu sein, ihre Hand in meiner, ihre Bewegung zu spüren und ihren Duft einzuatmen. Ich fühlte mich für den Augenblick sehr sehr groß, sehr erwachsen und traute mich, mich ihrer Halsbeuge zu nähern, was mit der Monströsität der Brille kein leichtes Unterfangen war. Also steckt ich sie in die Hosentasche und versuchte mein Glück erneut und Maria ließ es zu.

So tanzten wir, uns ganz nah, weltvergessen und sie roch so verdammt gut und dann bekam ich halt einen Ständer, was mir so peinlich war, doch Maria sagte nichts, tanzte noch enger und dann war das Lied aus. Einfach so. Obwohl ich nach diesem Tanz die Hoffnung hatte, dass sie mir noch einen schenkte und vielleicht etwas mehr, verließ sie mich mit einem Grinsen und ging zurück zu Ingo und kurz darauf waren die beiden nicht mehr zu sehen.

Am darauf folgenden Tag des Abschieds tauschten wir Adressen und versprachen uns hoch und heilig, uns zu schreiben, was wir dann auch taten. Und wie.


Briefe

Ich schrieb ihr zuerst, denn zu aufgewühlt von all dem Erlebten war ich und konnte nicht anders, als ihr gegenüber offen und ehrlich zu sein. Ich musste alles loswerden, was mich gedanklich gefangen nahm. Dabei war es mir wirklich egal, wie sie darauf reagieren würde, denn ich wollte einen klaren Sachverhalt und nicht mehr diese bruchstückhaften Sympathiebekundungen und dieses Tasten. Dennoch schlich ich in der Zeit des Erwartens ihrer Antwort wie ein geprügelter Hund um den Briefkasten.

Dann kam der Tag, an dem Mama meinte, da wäre ein Brief für mich angekommen und ich war so aufgeregt und wie glücklich war ich, als ich ihren Namen als Absender las.
Mit dem Brief in der Hand ging ich auf mein Zimmer, machte Musik an, zelebrierte die Öffnung des Kuverts und begann zu lesen.

Trauriges stand da, denn Ingo hatte sich schon kurz nach der Rückkehr von ihr distanziert. Die Gründe dafür habe ich nie erfahren und ich habe auch nie danach gefragt. Es gibt Situationen, da wollen Menschen sich nicht erklären, sie wollen nur etwas für sie allein Untragbares teilen. Damals hätte ich das so nicht ausdrücken können, aber ich handelte bereits danach. Wenngleich ich innerlich frohlockte, so wollte ich sie nicht bestürmen und schrieb ihr Tröstendes zurück, ganz ohne auf meine Belange einzugehen, oder danach zu fragen, wie sie meinen Brief fand. Das sollte dann später von ganz allein Thema werden, denn es entspann sich ein reger Briefverkehr.

Oh, wie ich mich verzehrte in den Tages des Wartens, wie nervös ich wurde, wenn der rechnerisch ermittelte Tag der Antwort ohne Briefankunft verstrichen war und wie jubilierte ich, wenn ich ihren Brief in der Hand hielt. Es war jedes Mal ein emotionales Großereignis, welches ich immer ganz allein für mich genoss.


Halle

Eines Tages dann schrieb sie mir, dass sie nun Telefon hätte und wenn ich Lust hätte könnte ich sie doch mal anrufen. Wir hatten kein Telefon und hätten es mit dem politischen Hintergrund in der Familie auch die nächsten Tausend Jahre nicht bekommen, aber wir hatten in 14km Entfernung eine Kreisstadt und in der gab es eine Telefonzelle. Also bin ich ab da zweimal die Woche, egal ob Regen, oder nicht, mit dem Moped zum Telefonieren hingefahren.

Wenn man sich die Möglichkeiten heute so anschaut, klingt dies grotesk, dennoch glaube ich, dass darin vielleicht auch der Zauber liegt. Erst wenn man sich anstrengen muss, erhalten die Dinge ihren Wert und ihre Wertschätzung.

Maria wusste es zu schätzen und wir lachten viel; es gab auch immer etwas zu bereden. Die Schule hatte wieder angefangen, Dorfdisco, der Umbruch im Land, den man fühlen konnte, dieses Flirren, Gedanken, die erstmals zumindest halblaut ausgesprochen wurden und diese völlige Arschegaleinstellung, die sich bei uns Kids breitmachte und natürlich „Disintegration“. Und dann sagte ich ihr, dass ich sie sehen will und sie antwortet: „Du weißt wo ich wohne, ich bin immer da.“

Das war eine astreine Vorlage, die ich gleich am nächsten Wochenende umsetzte. Ich besprach mich mit Maik, der hatte auch Lust und so fuhren wir, ohne unseren Eltern bescheid zu geben, Richtung Halle.

Das war für uns fast eine Weltreise: Erst mit dem Moped zur Bushaltestelle, dann mit dem Bus in die Bezirksstadt, von dort den Zug nach Halle.

Zu unserer Überraschung war der gesamte Zug voll mit Punks und wir Rotznasen mittendrin, mit unseren schwarzen Hosen und Pullovern unter denen das weiße Hemd hervorschien. Maik hatte extra zur Feier des Tages den Pullover an, den seine Oma für ihn strickte. Auf dessen Brust prangte in großen weißen Buchstaben „The Cure“ und so saßen wir mittenmang den deutlich älteren und sehr furchteinflößenden Subversiven. Eine Lüge wäre, würde ich schreiben, dass wir keine Angst hatten. Wir hatten verdammten Schiss und erst als ein Punker-Mädchen von der anderen Gangseite meinte: „So, ihr mögt Cure?“ Entspannte sich die Situation etwas.

Maik und ich schauten uns kurz an und sagten dann gleichzeitig: „Ja.“

So entstand eine kleine Diskussion über The Cure, Lieblingslieder und wir erfuhren, dass die Punks auf dem Weg nach Halle zu einem „Skeptiker-Konzert“ waren. Ich erklärte, dass ich von dieser Gruppe nur ein Lied kannte und das hieß „Pierre und Luce“. Aber dieses eine Lied mochte ich sehr. Naja. Nach diesem Statement war uns nicht mehr unwohl, denn wir hatten Geschmack bewiesen. Es wurde eine lustige Fahrt, obwohl wir den mehrmals angebotenen Alkohol nicht wollten.

In Halle Hauptbahnhof angekommen wurden wir von einer Armada von Polizisten empfangen, die für Ruhe und Ordnung unter den Punks sorgen sollten. Maik und ich sahen zu, dass wir da weg kamen. Vom Bahnhof aus rief ich Maria an. Sie konnte nicht glauben, dass wir ganz in der Nähe waren und freute sich. Wir ließen uns schnell von ihr erklären, welchen Bus wir zu nehmen hatten und an welcher Station wir aussteigen sollten.

Tja. Und dann stand sie da und wartete zusammen mit ihrer Freundin, deren Namen ich vergessen habe. Maria war wirklich schön, wie sie da so stand und lächelte und trotz aller Briefe und Gespräche am Telefon fühlte sich das Alles so neu an, so ungewohnt und keiner von uns beiden wusste mit dieser Situation umzugehen. Eine flüchtige Umarmung und das war es auch schon. Ich bemühte mich sehr intensiv um ihre Freundin, nur damit ich nicht mit Maria reden musste und sie hatte sich furchtbar viel mit Maik zu unterhalten. Diese anfängliche Befangenheit gab sich aber dann im Lauf des Tages. Ganz langsam und sehr behutsam kamen wir uns näher, beschnüffelten uns ein wenig, ein wenig mehr und plötzlich hielten wir Händchen. Ich war sehr glücklich in diesem Moment.

Maria erzählte, dass es eine Disco in diesem Jugendclub ganz in der Nähe gäbe und so sind wir dahin. Dort angekommen waren Maik und ich sehr erschrocken, denn der ganze Laden war fest in der Hand von jungen Skinheads und der Ärger war vorprogrammiert. Weder Maik noch ich, noch unser gesamtes Umfeld wollte mit dieser Richtung etwas zu tun haben. Wir hielten uns tunlichst fern von all dem und an diesem Abend waren wir unversehens mittendrin.

Einer von den Typen machte auch gleich Maik wegen seines Pullovers an und keine 2 Sekunden später hätten sie und wahrscheinlich übelst verhauen, aber Maria entschärfte die Situation, indem sie mich bei der Hand nahm und aus dem Laden rauszog. Ich zog Maik mit und er diese Freundin Marias, die Maik sehr sehr sehr sehr interessant fand.

„Dann halt nicht.“ Sagte Maria und: „Ich habe eh mehr Lust, mich mit dir zu unterhalten.“

„Wir gehen mal in diese Richtung hier“, kichert die namenlose Freundin, die sich schon längst bei Maik untergehakt hatte und ihn mit sich zog.

Maria und mir war das recht und ich erinnert Maik nur kurz daran, dass er die Zeit im Auge behalten sollte, denn wir wollten mit der letzten Bahn nachhause. Maria rief den beiden noch hinterher, dass wir zu diesem See gehen werden und sie sollten uns dann da abholen. Wir waren uns nicht sicher, ob sie uns gehört hatten, aber das war dann auch schon egal.

Hand in Hand schlenderten wir zu besagtem See. Dort angekommen lagen wir nebeneinander im Gras und schauten in den sternenklaren Nachthimmel. Ich zeigte ihr gerade Orion und solche Dinge, für die ich mich schon immer begeistern konnte, als sie mich fragte, was wohl mein Wunsch wäre, hätte ich einen frei. Ich hatte nicht wirklich einen, aber ich sagte ihr, dass ich gern wüsste, was danach kommt, also die Wahrheit hinter den Dingen. Sie schaute mich an und sagte, dass dies zu mir passen würde.

“Ja“, rief ich da fast, „ich will gern wissen, was hinter den Sternen ist. Ich will wissen wo es endet und wo es anfängt. Es muss danach noch etwas kommen! Was und wer? Das hätte ich gern gewusst. Willst du das nicht auch wissen?“

„Nein“, antwortete sie. Über solche Fragen nachzudenken mache ihr Kopfschmerzen und sie wird davon verrückt.

„Ja“, bestätigte ich ihr, „diese Fragen können einen in den Wahnsinn treiben. Aber was wäre dein Wunsch?“

„Ein Kuss?“

Das war ein einfach zu erfüllender Wunsch, dem ich gern nachkam und dann endete dies in einer wilden aber sehr harmlosen Knutscherei und ein bisschen Fummeln. Es fühlte sich so gut an, wie ankommen nach einer langen Reise.

Irgendwann kamen dann Maik und die Namenlose. Ich konnte an seinen Augen sehen, dass da wohl ein wenig mehr gelaufen war und später im Zug erzählte er es mir brühwarm.

„SEX. Ich hatte richtigen Sex!“, grinste er breit über beide Ohren. Er wollte mir aber nicht glauben, dass Maria und ich harmlos blieben.

Die Heimreise unternahmen wir wieder mit Punks, die aber alle ziemlich durch waren. Nach dem Trip, mit unseren neuesten Erfahrungen, konnte uns eh nichts ängstigen. Und wie mussten wir schmunzeln, als die Punks in der Bahn unter anderem „Pierre und Luce“ völlig schief und nicht ganz textsicher grölten. Es war eine schöne Heimreise, wegen allem was uns wiederfahren war. Da konnte auch die Standpauke daheim nichts ändern, sie machte mir nichts aus, ich war für den Moment unverwundbar.

Maria und ich machten eine Weile so weiter. Briefe, Anrufe, das kleine Glück. Wir lebten vor uns hin. Berufswahl und Prüfungen vor Augen, als uns unsere Bombe traf. Die Mauer ging auf und das, was schon immer Wunsch war, wurde schnell geplant und umgesetzt: Wir siedelten in den Westen um.

Ich habe den Kontakt zu all meinen Freunden zu Beginn komplett abgebrochen. Es gibt keine Erklärung dafür. Scham vielleicht? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass mich dieses „neue“ Leben komplett überrollt hat. Upside down. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den ganzen West Hokus Pokus durchschaut hatte und es war nicht immer leicht, der Ossi-Arsch zu sein, ohne Kohle und ohne den Coolness-Faktor. Zu erkennen, dass die Dinge, die einem persönlich wichtig waren, Dinge die dein Tun bestimmt hatten, nun nichts mehr wert waren und Turnschuhe von Reebook ein bestimmendes Thema waren.

Anfangs versuchte ich da mitzuspielen und konnte mich dabei noch so sehr anstrengen, es hat nie gereicht. Wie hätte es das auch können, wo die Marke deiner Klamotten dir erst deine Identität verleiht? Und dann kam der Punkt, wo mir das arschegal war und plötzlich habe ich genau solche Leute kennengelernt, denen es ähnlich ging und ab da wurde vieles einfacher.

Abschluss

Oft musste ich in den kommenden Jahren an Maria denken. Die eigenen Feigheit dabei einzugestehen war das Schlimmste, sich in Demut zu üben noch neu und doch, eines Tages, es regnete und ich hörte alte Lieder, eine Kerze brannte und ich war allein daheim, da startete ich den Versuch, sie aufzuspüren.

Es war fast zu einfach und als ich endlich eine Telefonnummer eines Geschäftes in Halle hatte, von dem ich glaubte, dass ihre Eltern es betreiben würden, brauchte ich nochmal ne Woche, um mich zu trauen.

Ich rief dann an und fragte die Männerstimme am anderen Ende der Leitung, ob er eine Maria sowieso kenne. Ja, antwortete diese, das ist meine Tochter. Da schlug mein Herz irgendwo in der Stratosphäre.

Ich erklärte ihm die Situation und er konnte sich an mich erinnern, obwohl wir uns nie begegneten. Er sagte mir, dass ich Pech hätte, denn Maria sei in der Uni, aber er gab mir ihre Handynummer, sodass ich sie direkt anrufen konnte.

Tja. Wir haben uns dann verabredet, natürlich in Halle. Es war mir ein Leichtes, denn ich hatte direkt nach dem Studium einen feinen Job und ein feines Auto, also legte ich einen Geschäftstermin so, dass ich sie besuchen konnte.

Wir trafen uns vor dem Geschäft ihrer Eltern, da in der Innenstadt. Ich war zu früh dort und hielt nach ihr Ausschau. Doch selbst als sie direkt vor mir stand, habe ich sie nicht sofort erkannt. Dünn war sie geworden, fast ausgemergelt. Der Glanz ihrer Augen war nicht mehr und sie roch auch nicht mehr so gut.

Ich lud sie dann in ein Studentencafe ein. Sie sagte, dass sie sich zu Beginn Sorgen gemacht hätte, sich dann aber fast dachte, dass ich abgehauen wäre. Maik hätte ihr es auch irgendwann bestätigt. Ich hatte keine guten Worte einer Entschuldigung und versuchte es auch gar nicht erst. Wir unterhielten uns über die Dinge, die uns zu der Zeit beschäftigten und so erfuhr ich, dass sie 4 Jahre in Paris wohnte.

Sie hatte dort einen Freund und eine Modelkarriere, die aber nicht so richtig lief. Sie war halt nicht der Typ, der gefragt war und ein bisschen zu klein. Dann trennte sie sich von diesem Freund und wollte ihrem Leben eine neue Richtung geben und begann ein Studium in Halle: Internationales Vertragsrecht.

Sie wollte zukünftig die große Kohle machen und Firmen beraten. Je mehr sie davon erzählte, desto mehr wurde mir klar, dass wir nichts Gemeinsames mehr hatten, außer der gemeinsamen Zeit und die Erinnerung daran. Wenngleich diese bei mir scheinbar lebendiger war. Ich weiß nicht, aber es geht doch auch immer darum, sich ein bisschen von sich zu bewahren, doch ich erkannte nichts in ihr. Ich fand nichts mehr vor von der Maria, die ich mal sehr liebte.

Seit diesem Wiedersehen habe ich komplett mit dem Thema Maria abgeschlossen, aber ich erinnere mich gern daran, an dieses Jahr 1989, wo das Heute in kaum vorstellbarer Zukunft lag und in dessen Verlauf es zu großen und kleinen Brüchen von Herzen und anderen Dingen kam.

Und wenn demnächst die Politiker aller Couleur die Feierlichkeiten zum Mauerfall begehen, sollte man vielleicht auch ein wenig daran denken, dass diese Veränderung für manchen einen einem Bombeneinschlag gleichkam, der Lebenswege komplett eine andere Richtung gab.

Und nun: Bässe rein, zugehört, mitgedacht, hier kommt

Ein Lied
Pieere und Luc



Der Himmel war so blau, ein herrlich milder Tag.
Paris im Winterkleid, zu schön, um wahr zu sein.





Ein Schuß zerriß die Luft, der Feind war tief im Land,
Der Krieg im vierten Jahr, die Welt im ersten Brand.





Bombenterror aus der Luft und alle wollten schnell entflieh`n,
abgetaucht im Untergrund, da sah er sie und sie sah ihn.

Pierre und Luce, die wollte doch nur glücklich sein,
Pierre und Luce, der Krieg ließ ihnen keine Zeit.





Explosion und Geschrei, da nahm er angstvoll ihre Hand,
wenig später, alles vorbei, er sah nur noch wie sie entschwand.





Pierre und Luce, die wollte doch nur glücklich sein,
Pierre und Luce, der Krieg ließ ihnen keine Zeit.






Als er sie dann wieder sah, brach sich die Liebe wortreich Bahn.
Beide waren sich so nah, doch Kinder noch, nicht Frau und Mann.





Sie wollten sich erstmals einen, es wurde aber nichts mehr daraus.
Todesvögel warfen ihre Last und eine Bombe, sie traf das Haus.


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