Freitag, 7. Juli 2006
Mein Tattoo wartet in Nürnberg
Ich bin müde. Kein Wunder, denn im Augenblick läuft mein Leben Fastforward. Letzte Woche war anstrengend, sehr sogar. Sieben Städte an fünf Tagen mit drei wichtigen shoot outs. Das geht schon mal an die Substanz. In Amsterdam haben wir verloren.
`Wir haben nicht verloren`, sagt der Junior, `wir haben nur nicht bekommen, was wir wollten.`
`Und wo ist der Unterschied?` frage ich. Eigentlich gibt es keinen, oder?
Wie auch immer. In Paris und Bordeaux haben wir gewonnen. Es gab eine lange Schiesserei, aber James Revolvermann Cabman blieb standhaft und war gut vorbereitet. Freitag bin ich dann mitten in der Nacht nach Hause gekommen, eigentlich war es Samstag, der Flieger hatte Verspätung. Waschen, Bügeln, am Sonntag noch schnell ins Büro und am Abend dann mit dem letzten Flieger nach Köln. Ich war bereits platt, bevor die Woche begann.

Das SPIEL sah ich in Nürnberg. Dort kenne ich eigentlich niemand, aber ich weiß jemand, die hatte aber keine Zeit und mein Außendienst hatte auch irgendwie kein Interesse, also bin ich allein nach Down Town Nürnberg, das Spiel zu schauen, die Stimmung zu genießen. Die Jemand hatte aber noch gemeint, dass man rechtzeitig auf der Meile sein müsse, weil ich das aber nicht sein konnte, wegen langer Termine und somit später Ankunft, ging ich zum Hauptmarkt, sozusagen ins Herz Nürnbergs. Aus Zeit- und Platzgründen werde ich mir hier die Geschichte von den zwei englischen Schwulen sparen, die hinter mir standen und sich über mich unterhielten: Der ist garantiert Schwul. Wie kann man soviel Bier trinken und dabei so gut aussehen? Er ist wirklich süß. Sprich Du ihn an. Bla bla bla. Ich habe die Zwei später aufgeklärt, dass ich sie 1.) gut verstand und 2.) so etwas von nicht Schwul bin, dass man dafür erst noch einen Begriff erfinden müsse. Da fanden die mich noch süßer und meinten ich wäre sehr wohl schwul, nur wisse ich es nicht und wenn ich wollte könne ich das ja mal ausprobieren. Was macht man da? Richtig, ein Bier ausgeben, eine bisschen fachsimpeln und sich langsam verkrümeln.

Dann kam der schlimme Moment und ich war wirklich traurig, denn es war so….naja, war es halt.
Ich habe aber trotzdem mit den Italienern gefeiert, denn die waren richtig gut drauf und das Tucher schmeckte auch irgendwann und außerdem gab es eine Samba-Trommel-Kapelle. Plötzlich war Karneval in Nürnberg mit all den Trommeln und Rasseln und alle, alle tanzten ausgelassen und happy. Ich traf da ein Mädchen, dieses hieß Sabrina, und wir beide tanzten Samba, was wir gar nicht konnten, das dafür aber sehr gut. Es war ein Mordsspaß und wir zwei haben reichlich gelacht, aber der Kater war nicht aufgelegt, nicht in Stimmung, dass kommt ab und an vor. Nichts worüber man sich sorgen müsste.
So gegen Eins oder Zwei kam ein Herr Polizist und bat den Obertrommler die ganze Chose nun einzustellen. Siehste, denke ich mir, Nürnberg ist nicht Hamburg, der Hauptmarkt nicht die Reeperbahn und irgendwie ist es ja auch mitten in der Woche. Hätten wir gewonnen, hätte sich aber bestimmt keiner beschwert. Sabrina ist mir dann abhanden gekommen, doch der Bierwagen war noch da und ich dachte mir, ich könne ja noch eins auf den Weg zum Hotel mitnehmen. Also hin da, zum Tucherstand und wen traf ich da? Marco (siehe Bild). Den kannte ich bis dahin gar nicht, aber er quatschte mich voll, sehr sympathisch, und wir reden so dies und das und er bezahlt mein Bier und dann gehen wir über den Hauptmarkt und treffen ne Art sit in.

Das waren Marcos Freunde. Ein Christoph, der mir nackten Oberkörper auf dem Boden lag, einfach so, die Jessie, die eigentlich Jessica hieß, den Kutscher, dessen richtigen Namen ich nicht weiß, eine form- und namensloser Gestalt, die so unreal wirkte und noch mal so einer. Illustre Truppe, bis auf Marco und Jessie reichlich stoned aber furchtbar lieb. Die kannten sich alle schon über zwanzig Jahre und ich wurde herzlich aufgenommen. Marco und ich beschlossen, dass wir noch in einen Club mussten, denn die Nacht war noch viel zu jung. Jessie wusste einen, meinte sie, wir anderen folgten ihr und fanden uns in so einer komischen Kneipe wieder. Den Namen kenne ich nicht, aber die Strasse, Webersplatz. Habe ich mir gemerkt, weil der Wirt und Inhaber und der Cabman Kumpels wurden. Dabei habe ich ihm bloß zugehört, all seine Geschichten und so kam es auch, dass Dimi, so hieß der gute und bester Freund von Jessie, mir morgens um Drei im fahlen Licht der Straßenlaterne seinen narbenübersäten Oberkörper zeigte. Schlägereien, Operationen, Magendurchbruch: „James, Du kannst es Dir nicht vorstellen, aber sterben wollte ich. Diese Schmerzen.“ Sagte er, nimmt mich in den Arm, küsst mich auf die Stirn und sagt zu Jessie, dass sie da einen ganz feinen Freund hätte. Jessie grinste mich an.

Da saß ich nun mit dem 55 jährigen Dimi, seiner Frau und eine Gruppe jung gebliebener Vierzigjähriger, die kifften und tranken, vor einer Kneipe, die ein Club sein sollte, ohne Musik und fühlte mich total wohl. Kein Gedanke ans nach Hause gehen. Überhaupt nicht.
Wir reden über alles und nichts, ich erfahre das Marco eine Sportschuhgeschäft hat und eine Frau, die aber zu Hause ist. Sie mag kein Fußball. Dann quatsche ich mit Jessie, die ich richtig gut fand. Nicht so. Mehr so. Sie hatte ein kleines Schwarzes an und trug eine Kniesschiene (Skiunfall im März), sie hatte Tätowierungen und reichlich Piercings. Sie war eindeutig Chef der Gruppe. Ich mag sie, sie mag mich, wie gesagt, nicht so, sondern so. Sie ist 39 und mit Christoph zusammen. Sie hat eine eigenen Club und ein Tätowier- und Piercingstudio.
„Wenn Du das nächste mal hier unten bist, schläfst de bei uns. Und wenn du willst machen wir dir auch ein schönes Tattoo und dann kommst de so, dass wir in meinen Club feiern können.“
„Klar. Versprochen. Ich hätte gern Robert Smith in der Haltung wie auf dem Poster zu Boys don´t Cry. Hier auf die Schulter, aber nicht zu groß. Kriegste das hin?“
„Was soll das denn fürne Frage sein? Na Klar.“
So quatschen wir, die ganze Zeit. Die Joints kreisen, Handynummern werden getauscht, die Crew trinkt Schnaps, ich nicht. Ich steige von Pils auf so ein komisches Hefe um. Eigentlich wollte ich Paulaner. Gab’s nicht und mein Kumpel Dimi wird leicht ungehalten. Das ist ja gar kein Hefe meint er und dann bekomme ich eins das Luntmann? Lunzmann? Lunchmann? irgendwie so heißt, lokale Brauerei und es schmeckte nicht mal schlecht. Gegen Fünf musste ich nach Hause. Ich hatte ja um Neun noch einen Termin. Den habe ich locker absolviert, auch gewonnen.
Beim Frühstück davor im Hotel fragte mich die Außendienstlerin, wie es denn so war. Ich erzählte es ihr. Nicht ausführlich, aber ehrlich.
„Und so etwas magst Du? Mit komischen Gestalten durch die Nacht ziehen?“
„Sind doch nur Ausflüge in ein anderes Sein. Was lässt dich mehr wissen dass du lebst, als es in allen Varianten zu testen? Die Nachtgestalten sind oft die ehrlichsten, da gibt es keine Show, just life.“
„Vielleicht, aber es kann ja auch gefährlich sein. Was, wenn du an welche gerätst, die dir Böses wollen?“
„Soll ich davor Angst haben? Auch jeder Flug ist ein potentieller Tod. Ich fliege trotzdem, über so etwas mach ich mir nicht wirklich Gedanken. Wie gesagt, ich mag die Abwechslung, man muss auch mal die Spur wechseln, dann sieht und man mehr, kann bremsen oder Gasgeben, je nach dem. Neben Zahlen, Umsätze und unser täglich Einerlei gibt es auch andere Menschen, andere Lebenswege, teilweise ganz andere Welten und diese interessieren mich. Verstehst du das?“ Da kuckt sie mich nur an, sie versteht nichts. Sie beginnt mir von ihrem geplanten Urlaub zu erzählen. Italien, nächste Woche, mal schön ausspannen und nichts tun. Jedem das seine denke ich mir, schmunzle sie an und frage nach Dingen, die mich nicht interessieren. Sie freut sich, dass ich ihr zuhöre.
Und dann gingen wir wie gesagt zum shoot out, gewannen und ich fuhr mit der Bahn nach Köln. Und dort gewannen wir auch und gestern in Dortmund auch. Und nächste Woche in Österreich, werde ich auch gewinnen, denn James Revolvermann Cabman geht immer vorbereitet zur Schiesserei, deswegen hat er auch so wenig Zeit.
Vielleicht treffe ich in Wien wieder interessante Leute im Saloon, oder davor, nein, eigentlich bin ich mir sicher, dass ich eine interessante Person treffen werde. Zwischen all dem Geballer muss man auch am stinkigen Leben riechen, sonst vergisst man womöglich noch, dass sich die Gosse nur Zehn Zentimeter unter unseren Füssen befindet.

Nachtrag:
Heute Abend spielen die Herren Depeche Mode in Stockholm. Ich hatte auch zwei Karten, gar keine schlechten, die ich schon im März gekauft habe. Sie sollten ein Geschenk für die Antike werden, weil sie die doch auch so mag. Nun geht sie da mit ihrem Neuen hin, denn ich habe sie ihr überlassen, aber der Neue muss mir meine bezahlen, ich bin ja nicht der ASB, nicht? Ob das wehtut? Am Anfang schon, ein komisches Gefühl, tiefe Aversion und Abneigung, doch dann dachte ich mir, es macht doch mehr Sinn, wenn die Zwei ein bisschen Spaß haben, als dass ich die Karten verfallen lasse, oder? Darum geht es doch, Leben und Leben lassen, großzügig sein, ist doch Privat, keine Schiesserei, dann bekommst du irgendwann alles zurück, it’s just a question of time, um es mit Dave enden zu lassen.


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