Sonntag, 6. August 2006
Mit Zigarrillo im Scho Schonenland
So. Ich muss hier heute mal was bloggen, denn ich habe mich ja lang genug dünne gemacht und James will ja nicht in Vergessenheit geraten.
Mit dem Bloggen ist es ja wie mit jeder Form der Ausscheidung, sie ist reinigend und gesund. Das ist im Übrigen nicht zu diskutieren, sondern bestehende Tatsache, habe ich von meinem Arzt, der da mal sagte: “Kacken ist gesund, denn es befreit den Köper von Giftstoffen. Je länger du nicht gehst, mein lieber James, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwas nachbleibt.“ Ehrlich, das hat er zu mir gesagt und die Analogie zum Bloggen ist unverkennbar, denn das hat auf mich auch reinigende Wirkung. Das war jetzt aber mal ne astreine Einleitung, denn heute schreibe ich was Ernstes, sozusagen Ernst Cabman, aber nur heute, denn es widerspricht meinem Naturell, eigentlich. Morgen gibt es dann was Lustiges, ich bin nämlich auf ne dolle Geschichte gestoßen, aber die seelische Reinigung geht vor:
Die Antike und ich haben den Herren Zigarrillo am Flughafen abgeholt. Da war es Sonntag. Und ich muss hier noch mal schnell was zum Herrn Zigarillo einschieben:
Den kenne ich, entgegen meiner früher getroffenen Aussage, nämlich schon seit der 11 Jahre alt war. Ich habe das mal nachgerechnet. Und seit dem sind unsere beiden Leben miteinander verwoben. Mal engmaschig, mal grobmaschig, aber immer ohne Riss. Gern erinnere ich unsere durchdaddelten Nächte mit Quake und Unreal, erinnere mich, wie wir seine erste Wohnung renovierten, da war er 17; erinnere mich, wie er verheult bei uns in der Küche sass, weil ihn alles zu überfordern schien, die Wohnung, der Alltag, keine Kohle, eben alles. Erinnere, wie wir gemeinsam doppelte Buchführung für sein Abi gepaukt haben, wie er selbstlos meine Diplomarbeit in den Rechner gehackt hat, die ganze Nacht hindurch und wie wir beide dann Montagmorgens bei ihm auf dem Bett vor lauter Erschöpfung einschliefen und ich das ganze noch fast vermasselt hätte, weil der Abgabetermin um 09.00 Uhr war und der Scheiss-Copyshop nur einen funktionierenden Kopierer hatte. Ich erinnere, als wir gemeinsam nach Norrland fuhren, 18 Stunden Autofahrt, wie wir da saßen und Holzmännchen schnitzten, all die Umzüge bei denen er mir half, erinnere, wie er die Stellung in Deutschland hielt, während ich schon in Schweden war, wie er sich für mich mit den Behörden rumgeschlagen hat und als Postverteiler fungierte. Erinnere all die Stunden, die wir gemeinsam verbrachten, manchmal stritten, auch das gehört dazu denn wir sind immerhin noch zwei eigenständige Menschen, zwar mit den (fast) gleichen Zielen, Werten und Auffassungen, aber eben nur fast. Unter Freunden sollte dies aber kein Problem sein. Ist es eins, dann hat man die falschen Freunde. Daher heute hier, weil er mir in der vergangenen Woche wieder half, mit seiner Muskelkraft, mit seinem Kopf:
Ich verneige mich tief mein Lieber und sage danke! Danke, dass du da bist wenn es brennt und danke für all die Hilfe und Rat, die du freimütig gabst und gibst!
So. Damit ist die Liste der Personen, vor denen ich mich verneigte, schon auf zwei angewachsen, denn so etwas wird nicht verschenkt.
Der traurige Grund seines Besuches ist der, dass das Haus im Scho Schonenland verkauft ist. „Es ist noch nicht verkauft!“ höre ich die Antike rufen und hinterher fragend „Hast Du den Vertrag gelesen?“ Natürlich hatte ich ihn gelesen, so etwas ist mein Job, so etwas mach ich fast jeden Tag, Verträge lesen und schön ist dann noch, wenn man sie auch versteht. Natürlich wusste ich, dass es eine Timeline gibt, innerhalb derer der Käufer ohne Vertragsbruch zu begehen, vom Kauf zurücktreten kann. „Dann kann ich den also unterschreiben?“ fragte die Antike. Sie hatte den Vertrag nämlich nicht gelesen. „Ja, kannst Du, es ist nichts Komisches enthalten.“ Nicht das hier der falsche Eindruck entsteht, normalerweise ist die Antike viel ordentlicher in solchen Dingen als ich. Aber eben nicht in dieser Angelegenheit, denn es ist einfach zu viel für sie. Also mein Job. Tja, und weil niemand weiß, wie die ganze Sache ausgeht, sind wir halt hin gefahren, ins Scho Schonenland, das Haus übergabefertig zu machen und Dinge, an denen unsere Herzen hängen, abzuholen. Viel war es ja nicht mehr, aber doch noch einiges. So rasten wir also von Stockholm ganz in den Süden Schwedens und die Antike sagte zum ersten Mal seit wir uns kennen, sie fände gut, dass ich zu schnell fahre. Sie wollte es schnell hinter sich bringen.
Es regnete. Natürlich. Passend zur Stimmung. Fürs Autofahren aber genau richtig, weil sich die Schweden dann immer nach rechts verkrümeln und man freie Fahrt hat. Und huxflux waren wir da und es war wie immer:
Sobald man das Grundstück betritt, scheint alles abzufallen. Die Gedanken an den Job sind meilenweit weg, es gibt nichts weiter als üppiges Grün, nur Geräusche der Natur und man ist mit sich allein. Die Bäume wiegen sich sacht im Wind, irgendwo zwitschert ein Vogel und in der Ferne hört man die Arbeitsgeräusche von jemand, der Rasen mäht. Die pure Idylle. Wir haben sie aber nicht genossen, sondern gleich richtig losgelegt, na ja, eigentlich war es die Antike, denn der Herr Zigarrillo und ich brauchen irgendwie immer erstmal Kaffee. Weil wir dann so schnell waren, alles in kleine abholbereite Häufchen sortiert, hätten wir auch schon am Montagabend wieder zurückfahren können. Haben wir aber nicht gemacht, denn wir waren sehr, sehr müde. Ich fuhr noch schnell zur Tanke, ca. 20 km weit weg, kauft ne Schachtel Zigaretten und als ich auf den Weg nachhause war, traf ich die Nacht. Unnötig zu sagen, dass ich sie mag. Nein, eigentlich liebe ich sie und dabei spielt es keine Rolle, wo ich sie treffe, ob in HH, in Amsterdam, in Wien, Zürich völlig egal, ich bin ihr immer verfallen. Auch im Scho Schonenland, wo sie in eigentümlichen Licht daher kam. Der Himmel schien in Flammen zu stehen und ich fühlte mich wie in so einem Fantasyfilm. Dahinten musste Mordor liegen.
„Na James? Traurig?“
„Ja, sehr sogar.“
„Wie werden uns hier nicht mehr wieder sehen, habe ich Recht?“
„So wie es aussieht hast du Recht, meine Teure.“
„Mach ein Foto, ich habe mich für dich hübsch gemacht.“
„Das sehe ich. Du bist bezaubernd.“
Und dann schmunzelte sie, funkelt in unglaublichen Farben und links kam der Nebel aus dem Wald gekrochen, um mal nachzuschauen, ob denn alles in Ordnung ist. War es. Ich machte meine Fotos und dann ging es endgültig heim.
Da warteten die Antike und Zigarrillo mit ner Tasse Tee, saßen auf dem Vorbau im Spotlight und ich musste daran denken, wie ich diesen ganzen Anbau in einem Sommer baute, allein, weil ich mich mit der Antiken gestritten hatte und der Herr Zigarrillo hatte keinen Urlaub mehr, so blieb mir nichts anderes übrig. Ich erinnerte, wie ich mir den Rücken verrenkte, als ich die Tür einsetzte, wie ich bei 2 Grad über Null die Spots einbaute und kaum den Seitenschneider halten konnte, weil die Finger steifgefroren waren. Es gäbe tausend Baustellenstories zu erzählen, aber dafür würde dieser Blog zu klein sein. Nur soviel: Alles, wirklich alles bis auf Strom und Wasser haben wir an diesem Haus selber gemacht. Den kompletten Grundriss geändert, neue Fassade, neue Heizung, neues Dach zwei Fenster zu gemacht, dafür an anderer Stelle die Fassade aufgemacht und ein Neues eingesetzt. Den Vorbau im November gebaut, wo es arschkalt war und das ausrichten der Unterkonstruktion dafür sorgte, dass die Antike und ich uns in den Haaren hatten. Kein Wunder, das war eine schlimme Zeit, tagsüber im Büro, abends auf dem Bau, da liegen irgendwann die Nerven blank. Aber wir folgten einem Ziel, hatten einen Plan, an den erinnerten wir uns immer, wenn es richtig arg kam. Und dann kam alles anders.
So stand ich dann am Dienstag auf dem Grundstück, schaute mir alles an, sah vor meinem geistigen Auge die Tierchies, die hier mal rumstapften, Lotta, eine sehr intelligente Hündin die wir letztes Jahr im Februar einschläfern lassen mussten. Ich habe Rotz und Wasser geheult. Otto, der nicht so intelligent war. Den haben wir ganz aus Pirmasens Tierheim geholt. Völlig bekloppt eigentlich, aber man muss investieren in die Dinge, die einem wichtig sind. Otto war es, genauso wie er alt und krank war, aber er hatte mit Sicherheit das beste Jahr seines Lebens bei uns. Und dann natürlich Skippy. Der größte Herzdieb aller Zeiten. Ein witziger Welsh Corgi Mix. Den hatten wir aus dem Lüneburger Tierheim und dieser kleine Kerl hat mich geliebt wie keinen anderen. Kein Wunder, denn wir verbrachten viel Zeit miteinander. An seinen Todstag werde ich mich auch immer erinnern, weil ich diesen Hund liebte und weil ich keine 24 Stunden in Schweden war, als wir ihn einschläfern lassen mussten. Da habe ich erst geheult. Aber man muss den Weg mit diesen Wesen, die sich uns nicht ausgesucht haben, bis zum Ende gehen. Das ist man ihnen schuldig. Skippy-Geschichten könnte ich hier auch etliche reinschreiben, denn der war ein richtiger Pflegel.
Ich schaute mich also um, sah vor mir, wie das Haus aussehen würde, würden wir alle Projekte umsetzen; sehe all die Bretter, all die Nägel, die wir von hand einschlugen, ich kenne jeden von ihnen, jeder Schraube, denn wir haben das Haus einmal umgekrempelt. Und alles trägt den bitteren Geschmack, etwas nicht zu ende gebracht zu haben. So etwas kann ich nicht leiden, ich weiß aber, es ist die richtige Entscheidung. Lerne zu leiden, lerne Dich selbst zu besiegen, denn nur dann kannst du andere besiegen. Das sagte mein Opa und an den musste ich komischerweise auch denken.
Wir haben wieder einen Hund, DasDaisy, die haben wir aus Spanien und solange sie und die zwei dicken Kater leben, habe ich auch eine Verantwortung und werde die Antike damit nicht allein lassen. Genauso wenig, wie ich sie allein liess, als alles verpackt war, denn der Herr Zigarrillo und ich sind mittlerweile Profis im Umziehen. Danach gingen wir nämlich noch mal übers Grundstück, um Tschüss zu sagen und natürlich weinte die Antike. Ich nahm sie in den Arm, sie zu trösten und versprach, wir würden das Haus in Stockholm auch schön herrichten, obwohl ich genau wusste, dass sie nicht wegen des Hauses weinte, welches wir in den letzten 7 Jahren mühevoll restaurierten, sondern weil mit diesem Haus eine Lebensplanung verschwindet, ein gemeinsamer Traum, ein Ziel, das eine Art Guideline war.
Tja. Das Haus ist wahrscheinlich weg, was bleibt sind 5 dicke Fotoalben mit Momenten eines bisherigen Lebens, Abdrücke auf dem Teppich und die auf der Seele. Die Zeit wird alles heilen und die Erinnerungen kann uns keiner nehmen, dem Zigarrillo nicht, der Antiken nicht und mir sowieso nicht, denn diese speziellen Erinnerungen trage ich im Herzen und nur da gehören sie hin. Skippy, Lotta, Otto, die Antike, wie wir uns liebten, wie wir uns stritten, wie wir lachten und gemeinsam weinten. Man kann die Welt in ihrem Lauf nicht aufhalten, man kann aber 5 Minuten innehalten und mal drüber nachdenken. Ich mach es ab und an, denn sie sind es mir wert, sie am Leben zu halten.
Wir machten noch ein paar Bilder, und fuhren durch die Nacht nach Stockholm. Die Antike wollte Motörhead hören, es gab auch Kiss, Bruce Springsteen und natürlich Depeche Mode. Und irgendwann verstummten die Gespräche, jeder hing seinen Gedanken nach, denn der Herr Zigarrillo war auch traurig und ich nagelte mit 120 und dem Riesenanhänger über die Autobahn. Der Rest wäre auch erzählenswert, spar ich mir aber, nur soviel, der Herr Zigarrillo und ich haben den Eingangsbereich des Hauses in Stockholm gemeinsam fertig gebaut, genau so, wie die Antike es wollte. Wir können so etwas nämlich, auch wenn wir sonst Drehstuhlcowboys sind und weil wir was können, allein und im Team sind wir sogar noch viel besser, können wir uns auch erlauben, die große Fresse zu haben. Aber nur dann und wann.
Am Freitag haben die Antike und ich den Zigarrillo wieder zum Flughafen gebracht. Es gab eine ganz unspektakuläre Verabschiedung und schon war er wieder weg. Wir saßen dann noch ein bisschen auf der schicken neuen Holzterrasse und die Antike sagte:
„Das habt ihr wirklich toll gebaut. Danke. Wollen wir noch mal zum Flughafen? Wir könnten dir ein Lastminute-Angebot raussuchen. Du könntest Urlaub machen.“
„Nee“, sach ich. „ich mach die Dinge hier noch fertig. Die Wochen nach meinem Urlaub sind schon alle verplant, dann kommt der Herbst mit den Messen, da werde ich auch kein Wochenende zu hause sein. Also muss ich damit jetzt fertigen werden. Das Haus muss gestrichen werden, der Schuppen muss ausgebessert werden und das Tor muss ich auch noch fertig machen. Ich habe es dir ja versprochen.“
Und da grinste sie und sagt: „ Du bist eigentlich ein ganz Feiner.“
„Finde ich auch.“;-)


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