Samstag, 12. August 2006
Beethoven, Dvorak, Chopin und ich
Liebes Tagebuch, heute blogge ich mir einen, weil iss ja Freitag und der Urlaub liegt in seinen letzten Zügen, der Tag auch und ich muss sagen, ich war heute fleißig. Extrafleißig, liebes Tagebuch, extrafleißig. Ich habe heute so furchtbar sinnvolle Dinge getan, sinnvoll aber langweilig, wie Fassade ausbessern und dabei hat man ja Zeit, strengt kopfmäßig nicht an, da können wir alle fliegen, träumen, weg sein. Apropos sinnvolle Dinge, hier kurzer Statusbericht zum Schuppen: Alles malfertig für die Antike. Die kam vorhin von der Arbeit und das war gut so, denn ich wollte schon das ganze Ding abreisen, ist so meine Art, weil alles war rott und weggegammelt und die Antike stand dann plötzlich vor mir und meint, sie hätte mich schon auf dem Parkplatz wie einen Rohrspatz fluchen hören. Ich kuck sie an und denke mir, dass müssen aber sehr kleine Spatzen sein. Rohrspatzen?
Wie dem auch sei, ich habe heute auch den Betonsockel gestrichen und dabei schön Farbe bekommen und ich dachte auch an so Dinge, die da waren und die Dinge, die so kommen könnten und vor allem an Dinge, die hätten sein können. Kennt das jemand? Wenn man sich wegdenkt, fragt wie es wohl hätte sein können, wenn man diese Entscheidung so getroffen hätte, die andere so? Wenn man versucht sich ein anderes Leben vorzustellen, jemand anders sein, mal hineinfühlen, träumen? Ich meine jetzt nicht so ein Quatsch wie, wenn ich Ralf Schumacher wäre oder so. Sondern ganz real, mit einem Türchen, einer Option, die man einlösen könnte, wenn man denn wollte. So etwas wie Sachen packen, ein One Way Ticket nach irgendwo buchen und los geht es.
Na, ich war heute jedenfalls gedanklich in Budapest und zwar, weil ich an Maria denken musste. Mit der war ich vor kurzem da und wir beide waren so angetan vom pittoresken Charme dieser Stadt. Das wäre eigentlich auch ne bloggenswerte Geschichte. Wenn ich es mir so recht bedenke, wäre mein ganzes Leben bloggenswert, ist ja ein echt bunter Strauss von Geschichten, Anekdötchen und Menschen und würde zeigen, dass im Cabman ein bisschen mehr steckt. Ja. Ich sollte eine Biographie schreiben, zumindest anfangen, denn das erste Drittel meines zweifelhaft fabelhaften Lebens ist um, es warten noch zwei, denn ich bin mir sicher neunzig zu werden und bis dahin werde ich nicht sterben. Das ist beschlossene Sache und deswegen habe ich auch keine Angst, vor gar nichts. Und bevor ich jetzt und hier weiter rumschwafel, möge der Leser sich bitte Chopin vorstellen, Walzer in Cis-moll und mit mir die knarzigen Treppen hinauf steigen, in Budapest, hinauf zu meiner riesigen Wohnung im baufälligen Jugendstilhaus, denn da wohne ich gerade, hoch oben über der Stadt:

Ich bin ein Poet. Ich bin ein Poet und ein armer Irrer, denn ich wählte diese Leben aus freien Stücken. Ich lebe von der Hand in den Mund, denn ich bin arm. Bitterarm. Meine Tage verbringe ich damit poetische Geschichten und Gedichte zu schreiben, die keiner lesen will. Habe ich Geld, so verzeche ich es sofort, bringe es durch mit den Schönen der Nacht. Sie mögen mich. Sie sagen ich sei nicht hässlich, aber nur solange wie ich sie dafür bezahle, was selten ist. Geld belastet, lässt die Menschen komisch werden. Alle sind komisch. Ich nicht. Ich bin frei, frei zu tun und zu lassen was ich will. Oft lasse ich alles, das Schreiben aber nicht. Ich habe fünf Zimmer. Ich benutze nur das Arbeitszimmer. Auch zum Schlafen. Was brauch ich Bad und Küche, wenn sich meine Welt am Schreibtisch dreht? Gedanken sind flüchtig, sie zu behalten eine Kunst. Häufig sitze ich bis spät in die Nacht und forme Sätze. Ein Satz, drei Stunden, die sich wie vier Tage anfühlen. Oft überfallen sie mich, nachts, wenn ich im Bett liege und ich spüre, wie sich das Universum ausdehnt. Sie huschen vorbei und dann muss ich sie festhalten, es umschwirren mich zu viele. Ich muss wählen, ich kann aber nicht. Ich will sie alle, das endet meist wirr. Die Leute halten mich für wirr, andere haben Angst, so wie die Menschen immer Angst haben vor den Dingen, die sie nicht verstehen. Der einzige Mensch, der mich versteht, heißt Agathe. Agathe von Hackenspitz. Sie hat die Wohnung gegenüber. Im Gegensatz zu meiner ist diese vollgestellt mit alten Möbeln, altem Prunk aus besseren Zeiten, den ich so liebe.
Ich geh zu ihr rüber. Jetzt. Denn Agathe hat eine Köchin. Es ist die Tochter unserer Vermieterin. Sie kocht täglich für Agathe und ich bin eingeladen. Immer, solange ich Agathe meine Geschichten vorlese und ihren zu höre. Ich höre ihr gern zu.

So schlubbere ich in meinen zerschlissenen Pantoffeln und nur mit meinem alten Hausmantel bekleidet rüber. Aber nicht ohne vorher Salvatore zu stubsen. Salvatore ist mein Hund. Alt, faul und riechend. Ich muss ihn immer die Treppe runtertragen, wenn es Zeit für sein Geschäft ist. Wir beide finde es entwürdigend. So stubse ich ihn und er schaut kurz und müde auf. Ja, er lebt noch und ich bin zufrieden.
Ich gehe auf direktem Weg in Agathes Wohnung. Unsere Wohnungstüren stehen immer offen. So können wir uns besser hören, aufeinander acht geben. Agathe hört Chopin. Sie hat einen alten Plattenspieler und dazu tausend alte Platten, nur Klassik. Meist sitzt Agathe in ihrem Ohrensessel liest, oder hört Musik. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger, denn Agathe hat ihre guten Tage, an denen sie so klar wirkt als wäre sie Zwanzig und dann gibt es Tage, an denen scheint sie in eine andere Welt entrückt. Ist sie bestimmt auch. Heute ist ein guter Tag für Agathe, denn meine sind immer gleich schlimm.
„Hallo mein lieber James, Sie sind auf die Minute pünktlich. Haben Sie großen Hunger mitgebracht?“
„Guten Abend Agathe. Aber natürlich. Wie immer.“
„Das ist gut. Katinka hat einen Rossbraten bereitet und ich fürchte es ist sehr viel geworden. Sie wissen ja wie sie ist, wenn etwas übrig bleibt.“
„Das weiß ich nur zu gut.“
„Hat den der junge Poet heute auch etwas geschrieben? Ist es etwas Romantisches? Sie wissen wie gern ich ihre Liebesgedichte mag. Wissen Sie doch?
„Ich fürchte ich muss Sie enttäuschen meine Teure. Ich fühlte mich heute nicht romantisch. Mir fehlt die Liebe, die mich beflügelt, ein Herz, von dem ich weiß, dass es nur für mich schlägt.“
„Oh. Das ist aber traurig zu hören. Haben sie stattdessen etwas anderes geschrieben?“
„Sicher. Sie wissen doch, ich kann nicht anders. Das Schreiben ist wie ein Fluch. Ich muss einfach.“
„Ja, das verstehe ich. Sie hören sich an wie mein Philip. Der sagte auch immer, die Jagd wäre ein Zwang für ihn. Habe ich Ihnen schon mal die Geschichte erzählt, als ich damals, bevor dieser Schreckliche Krieg ausbrach, mit ihm auf Elchjagd in Masuren war?“
Natürlich hatte ich diese Geschichte gehört, wie ich alle ihre Geschichten gehört hatte. Aber ich bin nur ein Narr, nicht despektierlich, daher höre ich sie mir immer wieder an und weiß genau, an welchen Stellen sie etwas auslässt oder hinzufügt.
„Nein, ehrlich gesagt noch nicht. Sie würde mich aber interessieren. Würden Sie sie mir nach dem Essen erzählen?“
„Aber mit dem größten Vergnügen.“
Und dann ruft sie nach Katinka, welche auch kommt und das Essen serviert, mürrisch wie sie es stetig tut. Das Essen ist wie immer gut, auch sehr reichlich. Ich stopfe mich voll. Die erste Mahlzeit an diesem Tag. Es wird die einzige beleiben.
Nach dem Essen trage ich das Geschirr in die Küche. Katinka schaut mich an. Ich schaue zurück. Sie ist drall, üppig gebaut. Sie verursacht ein Ziehen in meinen Lenden. Ich weiß nicht wie lange das schon her ist.
„Katinka, der Hund wird zu dick. Du solltest ihm nicht soviel geben.“
„Wenn Du für ihn Futter kaufen würdest, müsste er gar nicht so dick sein. Der Hund bekommt dasselbe wie Du!“
Sie hatte Recht. Ich sollte froh sein, dass sie an den armen Kerl dachte. Ich nahm die Schüssel für Salvatore und stellte sie in den Kühlschrank.
„Katinka? Würdest Du mit ausgehen wollen? Ich lade dich ein.“
„Mit dir? Wohin könntest du mich schon einladen? In deine vergammelte Bude etwa?“
„Nein. Ich dachte an einen Ausflug in die Welt der Fantasie.“
„Pah. Davon wird man nicht satt. Davon fahr ich nicht in den Urlaub! Vergiss es und sprich mich nie wieder darauf an!“ Auch an diesem Abend würde ich nichts Romantisches schreiben.
Als ich in den Salon zurück komme steht Agathe am Plattenspieler und hält triumphierend die Hülle einer Platte hoch.
„Schauen Sie James. Ich habe Dvorak gefunden. Kenne Sie seine Musik? Hach, ich habe so gern zu ihm getanzt. Philip war kein großer Tänzer, leider. Aber er hat mir immer erlaubt mit seinen Freunden zu tanzen. Würden Sie mit mir tanzen, James?“
„Ich fürchte ich kann nicht tanzen meine Liebe. Mögen Sie es dennoch probieren?“
„Aber natürlich.“
Und während Dvoraks Slavischer Tanz läuft wiegen wir uns sacht zur Musik und das ist dann auch schon der Tanz. Die Platte läuft mit Knistern und Rauschen aus und ich begleite Agathe zu ihrem Sessel. Katinka bringt den Tee und verabschiedet sich für heute Abend und beim Rausgehen schenkt sie mir einen verächtlichen Blick. Nicht der erste, den ich erhalte.
„Nun James. Lesen Sie mir vor, was Sie heute schrieben.“
„Sehr gern. Aber ich muss Sie warnen. Es wird nicht sehr fröhlich.“
„Was glauben Sie, was mich noch schockieren könnte?“
Umständlich hole ich den Zettel aus der Tasche meines Hausmantels und beginne zu lesen:

Geh nur Geh. Nimm das Boot,
einst gezimmert uns zu bringen durch die Fluten des Lebens.
Und wenn ich dereinst an feinen Gestaden lande,
Werde ich an Dich denken und Dir doch vergeben.

Geh nur Geh. Nimm das Licht,
einst unser Leben hell erleuchten liess.
Und wenn ich dereinst an sonnigen Gestaden lande,
Werde ich an Dich denken und Dir doch vergeben.

Geh nur Geh. Nimm all die Sachen,
einst Ausdruck unseres Lebens,
doch lass mir meine Würde.
Und wenn ich dereinst am mondbeschienen Gestade
den Schritten meines Schattens folge,
werde ich an Dich denken, Dir doch vergeben und über Dich lachen,
denn du hast nichts.

„Oh James. Es klingt wie eine Abrechnung. Ich wusste nicht, dass Sie solche Gedanken haben.“
„Ich sagte Ihnen doch, mir fehlt ein Herz, dass meines schneller schlagen lässt. Wie gefiel es Ihnen?“
„Es ist wundervoll. Sie sollten es einsenden, zu einem Verleger.“
„Eigentlich ist es nur wieder ein Gedanke, niedergeschrieben auf feuchtem Papier mit billigem Kugelschreiber. Aber wenn Sie meinen, dann sollte ich es vielleicht wagen.“

Und dann sitzen wir noch eine Weile, hören Beethovens Für Elise und ich lausche der Geschichte von Philip und wie er in Masuren einen Elch erlegte, wie stolz er gewesen sein muss und wie froh, dass er Agathe hatte, die ihn dafür bewunderte und ihm zuhörte. Mir wird schmerzlich bewusst, dass ich ausser Agathe und Salvatore niemanden habe, der sich meine Geschichten anhört und mein Herz füllt sich mit Traurigekeit. Ich muss jetzt gehen.
So verabschiede ich mich und schlurfe wieder in meine Einzimmerwohnung, die fünf Zimmer hat. Salvatore lebt noch. Ich freue mich und weil er mir heute wieder nicht zuhören mag, erzähle ich meine Geschichten dem Blatt Papier, dass da vor mir liegt.


Und eigentlich geht es hier noch vieeeeeeeeeeeeel weiter, aber ich bin in Word schon auf Seite 4, keine Ahnung wie das bei de Blogger aussieht, spät ist auch schon, daher belassen wir es mit dem letzten Satz. Für die Frau lunally gab es auch zwei Leckerbissen. Hausaufgaben gemacht, Danke, setzen James.


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