Samstag, 28. Oktober 2006
Als wir nicht jung, sondern unerfahren waren
Ich habe heut nichts gemacht. Gar nichts. Die Erkältung will nicht ausbrechen, ich welke dahin wie die Blumen vor der Tür, irgendwie nichts Ganzes, aber auch nichts Halbes und so warten wir darauf, dass etwas passiert. Vielleicht morgen, denken die Blumen und ich und wir schauen in den Himmel, der seit gestern flüssig ist. Auch so ne triefende Geschichte, denn gestern ist auch die Antike ausgezogen. Nun hab ich ein Haus, nee kein Haus einen Klangkörper. Ich kann ja gar nicht glauben, wie anders sich die Musik anhört, wenn die Hütte leer ist.
„Kannst alles haben.“ Sagte ich zu ihr, sie war nicht gierig, aber da wir eh nicht soviel unser Eigen nannten, ist es nun halt mehr als sehr wenig, was da übrig ist.
„Wird wohl auch nicht mehr werden, oder willst du was kaufen?“ Grinste sie mich halbgequält an. Nee. Erstmal nicht.
Aber was soll ich sagen, nach 3 Minuten Trauer, denn es war nicht alles schlecht, im Gegenteil, die Mehrzahl der gemeinsamen Jahre waren recht schön, fiel alles ab und ich fühlte mich frei. Nee. Nicht frei. Ich fühlte mich nach mir. Ich habe alle Kartons aufgemacht und alle, alle Bücher, die ich noch habe, aufgestapelt und in jedem einzelnen gelesen. Sind noch ein paar. Lieblinge, an denen mein Herz hängt. Ich werde ein Regal bauen müssen, denn sie aus dem Karton zu kramen, ist ja ziemlich nervig.
Ich habe auch alle CDs aufgereiht und jede einzelne angespielt, ich habe es genossen, wie ein kleiner Junge, nicht Rücksicht nehmen zu müssen, nicht aufzuräumen und nicht ein gedachtes Zeitschema zu befolgen. Ich war ich. Ich entdeckte meine alten Zeichenuntensilien und begann daraufhin etwas zu kritzeln. Der Wind pfiff ums Haus, welches von alten Klängen erfüllt war, eine Tasse Tee dampfte vor sich lang hin und die Gedanken trieben ab zu längst vergessenen Erinnerungen, welche sich ihren Weg ins Bewusstsein bahnten. “Bin ich schon so alt“, fragte ich mich erschrocken, nur um es zu verwerfen, denn man ist nicht alt, sondern erfahren. So rann die Zeit durch den Tag, wie Nasenbluten, schnell und unaufhörlich. Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn Knochen brechen, wie es ich anfühlt wenn du jemandem die Nase brichst. Leichter Widerstand und dann wird es butterweich. So ist es oft im Leben. Aber ich will das alles nicht mehr haben, ich will das alles auch nicht missen, denn es ist Teil meiner selbst. All die schönen Mädchen, all die wilden Nächte, die früher länger waren, all die Schlägereien, die Auseinandersetzungen mit Freunden und der Familie sind passé. Ich schau nach vorn, denn da liegt das Glück, man muss es nur holen.
Ich legte die CD der Frau Morphine ein, ein Klangteppich mit Volume 45, auf dem es sich so vortrefflich schweben lässt. Das Haus vibrierte im Takt der Musik und mein Gehirn bekam eine Endorphindusche. Die Welt ist bunt, das Leben schön, ich weiß wir werden uns wieder sehen und bis dahin mach ich weiter. So wie immer: Ich folge meinem Weg und höre auf mich, denn die, die mir was erzählen wollen, wissen es meist auch nur vom Hören/Sagen. Da mach ich lieber meine eigenen Erfahrungen, weiß wovon ich rede und bekomme Erinnerungen gekoppelt mit einem Soundtrack, den ich selber auflege. Und manchmal ist es heilsam, reinigend sich daran zu erinnern, wie es war, als wir nicht jung, sondern unerfahren waren.


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