Sonntag, 22. Juli 2007
Entscheidung

Da saß sie nun auf dem Küchentisch, ein Knie bis zur Brust angezogen, das andere Bein schaukelnd. Mit jedem Schwinger fiel eine Heidelbeere aus der Milchkanne, die hinter ihr stand und jedes Mal nahm ich diese und aß sie.
Sie lugte unter ihrem blonden Pony grinsend zu mir herüber und pulte dabei Schorf von ihrem Knie, so dass frische, rosafarbener Haut darunter zum Vorschein kam.
„Das Leben ist die größte Blamage, die man nur erleben kann“, sprach sie mit einer Stimme und Überzeugung, die nur alte und vom Leben enttäuschte Leute haben sollten. Ihre Worte stiegen auf wie pechschwarzer Rauch in die weißduftende Behaglichkeit unseres Zusammenseins und verfinsterten diese nur am Rande, denn wir waren Freunde – die Besten.
„Warum?“, so fragte ich voller Unschuld und Naivität, die nur Kinder haben können.
„Ist doch alles Bullshit. Sie erzählen uns nur Bullshit.“
„Wen meinst du?“
„Egal, du wirst es selber sehen, wenn du größer bist.“
Leila war größer als ich und älter. Sie hatte auf alle meine Fragen immer eine Antwort, niemand spielte einen besseren Rechtsaußen als sie und niemand hat je einen schnelleren Aufwärtshaken geschlagen. Ich bewunderte sie dafür.
„Komm schon, lass uns hier abhauen. Soll Tine selber ihre blöden Heidelbeeren waschen.“ Mit diesen Worten schwang Leila sich vom Tisch und war schon halb zur Küche raus.
„Aber deine Mutter hat gesagt, wir sollen hier auf sie warten und die Heidelbeeren putzen.“
„Ja“, rief Leila, während sie sich bereits in der Garderobe die Schuhe anzog.
„Tine hat auch gesagt, sie würde gegen 14.00 Uhr wieder daheim sein - wenn sie ihr Wort nicht hält, warum sollen wir unseres halten?“ Dies war ihre Logik, die mich immer beeindruckte und der ich mich nur schwer entziehen konnte.
Wir zogen durch die sonnigen Strassen hin zum Supermarkt, in dem Leila Cola, Schokolade und Kondome klaute. Sie tat dies ab und an, während ich mich nie traute.
„Brauchste auch nicht“, lachte sie draußen, „denn ich werde uns schon versorgen.“
Mit diesem Proviant gingen wir weiter, immer weiter, meist schweigend, aus der Stadt hinaus.

Wir folgten dem Wanderweg zum Wäldchen hin, durchquerten es und fanden uns auf der Wiese wieder, auf welcher wir uns schließlich niederließen.
„Willste auch Schoki?“ fragte sie, während sie mir ein bereits abgebrochenes Stück reichte.
„Ja, danke. Was willst du denn mit den Kondomen?“
„Ich weiß nicht, aber ich denke im Fall aller Fälle wäre es gut, welche zu haben, oder?“
„Was für ein Fall?“
„Oh, nun sei nicht doof.“
„Du meinst fürne richtig geile Wasserschlacht?“ Sie sah mich entgeistert an, bemerkte aber wohl den Schalk in meinen Augen und lachte los.
„Ja genau“, gackerte sie, „ne Wasserschlacht.“
So lagen wir dann Kopf an Kopf auf der Wiese, betrachteten die vorbeiziehenden Wolken und erzählten uns, was wir in ihnen sahen. Es gab Schweine und unseren Direktor, ein Auto, Tine und wir lachten an diesem Tag, dass uns die Bäuche wehtaten.
„Würdest du an mich denken, wenn wir uns mal nicht sehen sollten?“ fragte Leila mich später, als es bereits dunkelte und wir auf dem Weg nachhause waren.
„Aber natürlich. Das weißt du doch. Du bist die beste und einzige Freundin, die ich habe.“
„Das ist schön, James. Das fühlt sich sehr gut an.“

Am nächsten Tag rief Tine an und war außersich. Leila wäre nicht nachhause gekommen. Es gab keine Nachricht von ihr, kein Lebenszeichen. Niemand wusste wo sie war.
Sie stellten mir viele Fragen, die ich alle nicht beantworten konnte. Sie glaubten mir nicht, und ich wusste plötzlich was Leila meinte, als sie sagte, sie würden uns nur Bullshit erzählen.

Ich wartete an diesem Tag auf einen Anruf von ihr. Ich wartete eine Woche, einen Monat, ein Jahr, mein ganzes Leben, doch Leila hat sich nie wieder gemeldet. Möge es dir gut gehen!


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