Dienstag, 28. November 2006
Lauf James, lauf
Was für ein Tag. Zeit rinnt mir durch die Finger, sie läuft einfach weg. Wir hetzen zur U-Bahn, catch the tube. Regen, Regen nur Regen. Kid hat immer Herbst, ich habe immer Regen. Scho Schonenland, Stockholm, Amsterdam und nun eben London. Immer Regen. Wir springen von einer Bahn zur anderen.
Die Termine sind eng gesetzt. Muss sein. Nur 15 Arbeitstage, mehr habe ich gerade nicht. „Hurry up Fi“, rufe ich Fiona zu und sie grinst gequält. Wir schwimmen im Strom der Menschen, es kommt mir so aberwitzig vor. Innercity London, da sind die Wege zu den Stationen verzweigt wie in einem Ameisenhügel. Der Vergleich passt. Wir alle sind Ameisen und quälen uns durch den Bauch der Stadt. Da ist kein vorbeikommen, die Masse folgt stoisch dem vorgegebenen Weg. Wir folgen ihr. Verteilerkonten. Wir müssen hier zurück ans Tageslicht.
Ein alter Mann steht vor der einzigen Rolltreppe nach oben. Die Masse kommt ins stocken. Der Mann versucht seinen Hund hochzuheben, schaffte es nicht. Keiner hilft. Ich schon. Ich pack den Hund untern Arm und dann geht es dem Regen entgegen. Leute schauen mich komisch an. Fi lacht. Der Hund bewegt sich nicht, riecht gut. Skippy hat auch immer gut gerochen, fällt mir kurz ein. Oben angekommen sagte der alte Mann einfach nur Danke und zieht seines Weges. Fiona lacht noch immer.
„Der hätte dich beißen können.“
„Hat er aber nicht.“
„Du bist total verrückt. Wirklich. Du sahst urkomisch aus. Und der Hund erst.“
Und dann geht es weiter. Business district. Wir suchen das Hotel, in dem das Meeting stattfinden soll. Da taucht es auf. Allerbester Protzkasten. Wir haben noch 20 Minuten. Ich brauch nen Kaffee. Ich glaub ich bin abhängig. Wir gehen in einen Diner. Hier geht es Zack, Zack. Bestellen, bezahlen dann brüllt jemand, den man nicht sieht, two coffees black und das war es. Das dauert keine Minute. Niemand hat Zeit. Ich schon gar nicht. Mir gefällt der Vibe, mir gefallen die Jaguars, die Damen in ihren Porsche, die Gentlemen in ihren Anzügen und Burberry-Regenjacken. Die Times liegt rum, Zeichen für eine andere Welt. Fi und ich reden ein bisschen. Sie meint, sie wäre froh wenn ich wieder weg bin. Sie meint es nicht böse. Ich frage ob ich ihre Routine störe. Ja, sagt sie. Es geht mir zu schnell. Ich weiß, sage ich. Aber wir haben nicht soviel Zeit. Bisher waren wir gut, oder? Ja, antwortet sie. Wir haben in den letzten sieben Tagen mehr bewegt als in den letzten 4 Jahren. Ich versteh gar nicht wo diese Energie bei dir hier herkommt. Tja, nehme ich einen Schluck Kaffee, ich eigentlich auch nicht und ich sage ihr nicht wie müde ich mich gerade fühle. Wie angeschossen, wie verletzt und wie pissed off von Leuten, die ihren Job nicht machen. Killed by friendly fire, nennen sie es, wenn dir deine eigenen Leute in den Rücken schießen, weil sie zu blöd sind. Eine schnelle Zigarette unterm Regenschirm, Leute hasten an mir vorbei und dann gehen auch wir zum Edelhotel.
Ja, ich nehme Kaffee und ich muss mir kurz die Hände waschen gehen. Fi erzählt der schönen Frau die Geschichte vom Hund. Ich höre sie lachen, als ich zu den WC`s gehe. Was ist daran lustig? Tolles WC. Die haben da einen Teppich liegen, den manch anderer im Leben nicht bezahlen kann, aber so ist es. Das Leben ist und bleibt ungerecht.
Die schöne Frau kenn ich schon. Sie heißt auch Fiona. Sie ist director bla bla bla. An ihrer Seite sitzt eine verhuschte Person im Wollpulli. Sie ist deputy editor. Na sehr schön, denk ich mir. Fiona2 fängt mir ihrer Präsentation an. Klar seid ihr die Besten, sonst würdet ihr mir es nicht erzählen. Ich frage ob ich ein Stück näher zu ihr kommen darf, ich versteh sie so schlecht. Sie grinst. Ja, sagt sie, darfst du, ich hab dich gern bei mir. Sie sieht gut aus. Langes blondes Haar, wer würde sich nicht gern mal darin sonnen wollen. Ihre Wimperntusche hat einen Abdruck auf dem unteren Lied hinterlassen, es sieht aus als würde sie weinen. Irgendwann bin ich von der Selbstbeweihräucherung genervt. Lass uns über Zahlen reden. Sie lacht, du kommst gleich zur Sache, was? Ja, und nun raus damit. Sie bleibt cool, wird kein Stück rot, sie ist Profi durch und durch und deswegen mag ich diese Frau so. Sie haut mit den Zahlen um sich als würden wir hier über Kekse reden. Am Ende ihrer Ausführung schaute sie mich auffordernd an und grinst. Ich kann das Spiel aber auch. Ok, sag ich, wie viel Rabatt ist drin, wenn wir nen ganzjährige Kampagne fahren und siehste wohl, jetzt zittert sie. Wir werden uns einig. Frau deputy editor, deren Namen ich vergass, weil sie so eine Unperson war, drückte nichts aus, will wissen was sie schreiben soll. Erstens nicht meine Sache, ich mach hier nur die Deals und Zweitens ist das dein Job. Sie wird rot und findet mich doof. Zieh dir ne Nummer und stell dich zu den anderen.
Fiona2 sagt mir, dass ich in Birmingham einen guten Eindruck hinterlassen hätte. Da wären einige Damen, die mit mir morgen tanzen wollen. Sie wäre eine davon. Ich verspreche es ihr und dann geht es für meine Fi und mich wieder raus in den Regen, rein in die Tube. Nächster Termin.
Der Laden sieht gut aus, die junge Dame, die dafür verantwortlich ist, nicht. Trotzdem überhäufe ich sie mit Komplimenten für die schöne Präsentation und sie freut sich. Gutes wird nicht besser wenn man drüber spricht, aber wenn ich der Meinung bin, dass es etwas gut ist, dann sag ich es auch. Motivation. Wir kürzen den Termin ab. Alles ist ok, da braucht man sich nicht darum zu kümmern und wir sparen Zeit. Rein in die Tube, nächster Termin.
Fiona meint, wir müssen nun Bus fahren. Vergiss es. Wir nehmen ein Taxi. Ich will Cash holen. Creditlimit überschritten sagt der Automat. Aha. Schon komisch, denn die Karte hat gar keins. Ich rufe an. Die Dame in Schweden erklärt mir, dass die Karte zwar kein Limit hätte, aber nur für Transaktionen. Ausbezahlungen haben eins und meins hätten sie gerade gesenkt. Wieso? Weil Sie es nie ausnutzten. Und wieso sagt ihr mir das nicht? Haben wir dann wohl vergessen. Schön. Ich will aber, dass ihr das Rückgängig macht und zwar jetzt. Das kann dauern. Nee, das kann nicht dauern, denn ich habe einen Termin. Ich sehe was ich machen kann. Sieh nicht. Mach. Sie macht und keine 4 Minuten später war das Limit wieder angehoben. Ich bedanke mich recht herzlich, dafür haste nen Orden verdient. Sie lacht und wünscht mir noch viel Spaß in London.
Cab. Nächster Termin. Edelrestaurant. Zwei der Drei Damen kenn ich schon. Gemma und Deniece. Wenn man die sieht denkt man, dass sind aber zwei nette Mädchen. Vorsicht. Die beiden sind knallharte PR-Profis. Deswegen arbeiten wir mit denen. Wer die unterschätzt hat schon verloren. Bussi links, Bussi rechts und dann werde ich der Chefin vorgestellt. Sarah. Schätzungsweise 50, dick und komisch anzuschauen. Wir reden nicht über business. Dafür haben wir noch ein Meeting nach dem Lunch. Es geht vor und zurück, Wetter, Politik und Komik. Zeitverschwendung. Ich rede dann doch über business und Sarah beäugt mich komisch. Wir werden nicht warm. Ein Glas Wein, ein Glas Wasser, drei Gänge und nun lass uns endlich das Meeting starten. Machen wir auch. Cab.
Konferenzraum in Chelsea. Nett anzuschauen und ich frage mich die ganz Zeit, ob das wohl unser Geld hier ist. Das Essen, dieses überkandidelte Büro, alles. Präsentation, schon wieder einer der mir erzählt, dass er der Beste ist. Na sicher. Wir arbeiten mit euch.
Wir spinnen Gedanken. Ich erzähle von Deutschland und Frankreich. Sarah wird offener. Jetzt weiss ich auch wo Gemma und Deniece das her haben, denn Sarah ist noch ne Spur härter. Aber wir verstehen uns immer besser. Irgendwann wird es ein Dialog zwischen uns beiden. Was das Ziel ist? Na ich will UK auf dem 3. Platz sehen. Das ist machbar, auch innerhalb eines Jahres. Sarah freut sich und Fi interveniert. Wieso nur der 3.? Weil ich Deutscher bin, weil ich anderthalb Jahr gebraucht habe Deutschland auf den 2. Platz zu pushen und den gebe ich nicht her. Fi lacht. Du bist aber auch für UK verantwortlich. Right. Ich kann aber auch Schach gegen mich selber spielen. Kannst Du? Nee, habe ich mal probiert, funktioniert gar nicht, weil ich Schwarz immer bevorzuge. Also wird es nichts mit UK? Nee, niemals.
Die Strategie ist festgelegt. Wir bedanken uns artig, verabschieden uns. Wir sehen uns dann morgen, Downtown in der Cocktailbar und von da aus fahren wir ins Hilton. OK. Wer bezahlt sie erste Runde? Na der, der fragt. Danke Fi. Wieder Tube, nur ins Hotel. Ich bin geschafft. Konzentration beim Reden, zwischenzeitliche Anrufe aus Deutschland und Schweden verwirren meinen Kopf. Sprachengewirr. Konzentration. HG rief an, bad news. Noch eine. Fuck. Gemma will mit mir tanzen, na bitte. Ich mag sie ja. Vor dem grossen Fest hat der liebe Gott aber noch die Pflicht gestellt. Morgen Treffen mit client A+++ und das was ich von ihm will wird ihm nicht schmecken. Wir werden sehen wie das ausgeht, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Woher ich das weiß, will Fi in der Bahn wissen. Weiß ich gar nicht, glaube ich und wenn du das stark genug tust, dann wird es so kommen. Wie immer.
Frau Morphine hat wohl doch Recht. Vielleicht bin ich auf meine eigene Weise gläubig.


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In der Londoner U-Bahn hatte ich immer das Gefühl, dass ich im Grunde Untertage bereits den Weg, den ich eigentlich mit der U-Bahn fahren will, zu Fuß zurücklege. Dabei war ich nur auf dem Weg zum richtigen Bahnsteig.
Wirklich unglaublich, was sich da unten abspielt.

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Wem sagst du das. Grausam das. Und das bei dem Termindruck.

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Ich kann mich allerdings nicht entscheiden, ob ich jetzt London oder Paris krasser fand - da muss man ja in beiden Städten Gewaltmärsche unternehmen, um zur richtigen Linie zu gelangen.

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Beides fürn Arsch, speziell mit Trolly.

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Naja, ich war immer nur mit relativ leichtem Gepäck unterwegs. Aber kann mir schon vorstellen, wie das mit Koffer im Schlepptau bzw. als Rollhängsel sein muss.

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Ich kenn' die anderen nicht - aber Prag...!!!
Da geht's manchenorts so steil mit der Rolltreppe 'runter, daß Du denkst, Du stürzt direkt in die Hölle.
Nichts für Mutters Tochter.

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das klo-foto mit dem roten teppich find ich zum kringeln. ich habe mehrmals draufgestarrt und immer gedacht, du hast wen beim pinkeln fotografiert, also von oben, und der jemand hat so eine kreisrunde glatze, ein bisschen rot vom bluthochdruck oder weil er gerade in der kabine pressen musste (ham, eggs, bacon and sausages sind ja eher weniger darmflorafreundlich).
jetzt hab ich vor lauter lachen auf den bildschirm gespuckt. mann.

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Hahaha Du bist ja herrlich und: Sowas passiert, wenn man zuviel Phantasie hat. Ich muss jetzt ins Bett. Termine, Termine, lauf, lauf,

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Viel Bewegung,
da bei dir. Das gefällt mir, so würde ich auch gern spielen. Geht allerdings grad anders herum, bei mir, Leute sitzen mich platt und reden, anstatt endlich los zu laufen, ein klares Ziel vor Augen, sie bleiben sitzen und öden mich an.

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die öffentlichen in london stinken leider dermaßen, dass auch bahnfahrwillige jäh verschreckt werden. außerdem darf man keinen sex in den abteilen haben, sonst wird man angezeigt, jawohl. weiß ich ja jetzt alles. ;)
ich hoffe, der heutige tag war besser.

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